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Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen

Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen

Titel: Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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er zusammenstürzen sehen, aber auf den Osterhasen hatte er sich doch verlassen. Und nun war auch das nichts gewesen, auch dies hatte getrogen.
    Andererseits werden die Eltern auch beruhigt. Ihnen wird gesagt: Kinder erholen sich schnell, wenn ihre Umgebung sich normalisiert hat, wenn die größten Mängel beseitigt sind. Die Anpassungsfähigkeit gerade der Flüchtlingskinder wird hier wie in allen frühen Publikationen immer wieder lobend hervorgehoben:
    Barbara ist inzwischen acht Jahre alt geworden; längst bewegt sie sich mit der Sicherheit eines Eingeborenen in ihrer neuen Welt. Sie spricht die breite westfälische Sprache ihrer zweiten Heimat; hinter ihr liegen die Zeiten, wo sie jeden neuen Menschen mit Mißtrauen ansah. Und doch passiert folgendes: Beim Abendbrot ist die Rede davon, daß eine Nachbarsfamilie aus der Wohnung herausmüsse. Das Kind wird totenbleich, legt den Löffel hin. »Mutter, müssen wir wieder weg?«
    Den Kindern gelang es in der Regel viel eher als ihren Eltern, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden. Und dennoch: Was von der Flucht übrig blieb, bleibt aufmerksamen Erwachsenen nicht verborgen. Sie spüren den Schrecken, auch wenn er mit altklugen Redewendungen daherkommt.
    »Nicht wahr, Mutter, wenn wir das nächste Mal fliehen, dann darf ich mein Rucksäckchen doch behalten?« Wolfi hatte als kleiner Bursche von vier Jahren seine liebsten Spielsachenin einem eigenen kleinen Rucksack mit sich tragen können. Aber die Familie war von einem LKW der Wehrmacht aufgenommen worden unter der Bedingung, daß sie alles Gepäck zurückließ – es sollten ja möglichst viele Menschen auf diesen letzten deutschen Wagen gehen. Da hatte auch der Kleine sein Rucksäckchen fortwerfen müssen. Zweierlei ist bezeichnend an seiner Äußerung, einmal daß der Schmerz von damals noch nicht überwunden ist, dann aber die Wendung: »wenn wir das nächste Mal fliehen . . .« Die Welt dieses kleinen Kerls sieht so aus: Man geht eben ab und zu auf Flucht.
    Wenn etwas ältere Kinder von dramatischen Ereignissen sprechen, klingt es häufig so, als hätten sie das Glück gehabt, bei einem großen Abenteuer dabei sein zu dürfen. Als Beispiel das Gedicht eines Zehnjährigen.
    Am 10. Februar im 45. Jahr ging es raus
    vom schönen elterlichen Haus.
    Solang wir hatten Pferd und Wagen,
    war die Reis’ noch zu ertragen.
    Im nächsten Dorfe schlief sich’s gut,
    am Nagel hingen Stock und Hut.
    So ging es weiter,
    trüb und heiter,
    durch die Weiten immer weiter,
    bis mit einem Male, na nun,
    hatten wir’s mit den Russen zu tun.
    Das Gedicht erinnert mich an die Art, wie ich viele Erwachsene von ihrer Kindheit im Krieg habe reden hören: ohne Schrecken in der Stimme, sondern eher unterhaltsam nach dem Motto »Zumindest war es nie langweilig«. Elisabeth Pfeil schaut auch bei diesem Gedicht sehr genau hin und verrät, was sich dahinter verbirgt. Hier ist alles vorhanden: der Aufbruch, das Interessante, das Abenteuerliche der Reise, die Beobachtung des Ungewöhnlichen (daß man den Hut an einen Nagel an der Wand hängte), die wechselvollen Erlebnisse der weiteren Flucht, endlose Weite, der Verlust der Pferde, des Wagens und endlich: vom Feind eingeholt zu werden. Dieser Junge, der erlebt hat, wie sie durch das Feuer liefen, wie dabei sein kleinster Bruder zurückblieb, wie sie den Fluchtweg wieder rückwärts zogen, wie die Mutter als Magd arbeitete, wie die Soldaten sie mißbrauchten, faßt alle Schrecknis zusammen in einen einzigen kleinen Ausruf, die beiden Worte »Na nun«. Dann bricht das Gedicht ab.

DRITTES KAPITEL
    »Eine verschwiegene, unentdeckte Welt«
Als Deutschland hungerte
    Wie sah kurz nach dem Krieg die soziale und gesundheitliche Situation der Bevölkerung aus? Der Journalist Isaac Deutscher schrieb am 29. September 1945 in »The Economist« über seine Eindrücke in Berlin:
    Blickt man von den Kleidern auf die Gesichter, so wird deutlich, was es heißt, halb verhungert zu sein. Was auffällt, ist nicht die Magerkeit, nicht einmal die allgemeine Müdigkeit, sondern die Gesichtsfarbe. Die Gesichter der Babys in den Kinderwagen sind leichenfahl; das Fleisch hat ein wächsernes oder seifenartiges Aussehen. Kleine Kinder sind gelb, aber die Zwölfjährigen weisen die Blässe der Erwachsenen auf, außer, wenn sie offenbar durch Gelbsucht gefärbt sind.
    Deutschland hungerte. Peter Weiss notierte für seine schwedische Zeitung:
    Die Deutschen schleppen sich, wie im Halbschlaf, gebrochen, die Straßen

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