Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen
Konzentrationsschwäche, übertriebene Wachsamkeit und Schreckhaftigkeit, Ängste und Panikreaktionen.
Nicht eine einzelne Befindlichkeitsstörung weist schon auf ein Trauma hin, sondern Mehrfachnennungen aus einer jeweiligen Liste. So steht es in den Katalogen mit Diagnosekriterien, die in den vergangenen zwanzig Jahren öfter modifiziert wurden. Auch wird klar unterschieden, ob es sich bei dem Erlebten um eine einmalige Bedrohung handelte oder um eine Summe belastender Ereignisse, die dann irgendwann den »seelischen Reizschutz« überfluteten, wie Sigmund Freud sich ausdrückte, oder um jahrelang anhaltende Gewalt, zum Beispiel durch Krieg, Verfolgung oder durch Misshandlung und sexuellen Missbrauch in der eigenen Familie.
Traumatherapeuten haben gelernt, bei Depressionen, Sucht oder einer Borderline-Symptomatik genauer hinzuschauen, denn hier kann eine extreme Traumatisierung zugrunde liegen. Außerdem hat sich gezeigt, dass eine lange Kette von Gewalterlebnissen möglicherweise die Persönlichkeit verändert – wie erstmals bei den Vietnamveteranen wissenschaftlich dokumentiert wurde. Folgende Merkmale sind dafür bezeichnend:
misstrauische oder feindselige Haltung gegenüber der Umwelt,
sozialer Rückzug,
Gefühle der Leere und der Hoffnungslosigkeit,
Nervosität als ein Gefühl des ständigen Bedrohtseins,
sich in seinem Körper nicht zu Hause fühlen.
Wissen Therapeuten genug?
Die Behandlung von Traumapatienten verlangt nach Therapeuten, die sich damit auskennen. Was wie eine Banalität klingt, ist so selbstverständlich nicht, jedenfalls nicht in Deutschland, wodas Thema in Fachkreisen im Vergleich zu den USA mit zehn bis 15 Jahren Verspätung diskutiert wird. Die beiden von den Krankenkassen akzeptierten Behandlungsmethoden – die Verhaltensund die tiefenpsychologisch fundierte Therapie – sind nicht automatisch hilfreich. Sie können auch schaden. Die Traumaexpertin Luise Reddemann, Bielefeld, die ich für eine WDR-Sendung interviewte, rät Patienten, sich nur solchen Therapeuten anzuvertrauen, die eine entsprechende Ausbildung nachweisen können.
In den traditionellen Verfahren, so Reddemann, werde zu wenig für ein Gegengewicht gesorgt. »Man darf sich nicht immer nur mit diesen schrecklichen Sachen beschäftigen. Sondern man muss gucken: Gab’s auch irgendwas Erfreuliches, oder kann ich mir zumindest jetzt Freude in mein Leben holen? Wenn das nicht geschieht, dann schleicht sich immer mehr Verzweiflung ein.«
Offenbar mangelt es an Behutsamkeit und Fürsorge für die Patienten. Reddemann, die bekannteste deutsche Ausbilderin in der Traumabehandlung, beschreibt eine verblüffende Unbekümmertheit bei Therapeuten, die sich mit dem Psychotrauma nicht auskennen und dennoch glauben, das Richtige zu tun, nach der Devise: Es ist gut, wenn darüber geredet wird. Luise Reddemann meint dazu: »Das stimmt nicht. Es geht hier um Minen! Und wenn man Minen heben will, braucht man Spezialwissen, oder man beauftragt dafür einen Spezialisten.« Vor allem dann, wenn es um lange zurückliegende Kindheitsschrecken geht. Andernfalls kann es geschehen, dass Depressionen eher zu- statt abnehmen oder dass Patienten immer ängstlicher oder verwirrter werden.
»Wenn das passiert, kann man doch schon vermuten, dass es nicht gut für sie läuft«, sagt Reddemann und warnt ausdrücklich vor Therapeuten, die in solchen Situationen die Behandlungsstunden aufstocken wollen, anstatt sich die Frage zu stellen, ob ihr Handwerkszeug den Problemen überhaupt gewachsen ist. Unter Traumafachleuten herrscht der Konsens, dass Patienten und Patientinnen als kompetente, verantwortliche Partner im therapeutischen Geschehen angesprochen werden. Sie sollen sichmit den belastenden Erlebnissen erst dann beschäftigen, wenn sie dazu stabil genug sind. Sie müssen lernen, die Kontrolle über ihre Gefühle zu behalten. Das Regredieren, also das Zurückfallen in kindliche Empfindungswelten, ist nicht erwünscht.
In ihrem Buch »Imagination als heilsame Kraft« bietet Luise Reddemann eine ganze Sammlung an Stabilisierungsübungen für Traumaopfer an, die auch grundsätzlich in stressreichen Lebenssituationen hilfreich sein können. Einen einfachen Weg, die einzig richtige Traumatherapie, gibt es nicht, dafür sind die Folgen seelischer Verletzungen zu komplex. Man setzt stattdessen auf eine Vielfalt der Methoden, die teilweise mit den Instrumenten der Hirnforschung überprüft werden. In den vergangenen zwanzig Jahren ist eine fruchtbare
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