Die vergessene Sonne - Ride, C: Die vergessene Sonne - The Inca Cube
Soldaten dort patrouillierten. Auf den ersten Blick zählte er mindestens fünfzig. Vor den Türen der Kommandantur waren Sandsäcke gestapelt, desgleichen rings um die Kathedrale und die zwei angebauten Kirchen. Beim Näherkommen sah er unter den Soldaten viele unbekannte Gesichter. Sie mussten zu dem Kontingent aus Lima gehören.
Er war froh zu sehen, dass der Leichnam von Corsell Santillana endlich vom Glockenturm entfernt worden war. Es war eine Erleichterung, nicht mehr auf die verwesenden Überreste eines seiner Soldaten blicken zu müssen. Die Kreuzigung hatte Unheil über die Stadt gebracht, und tief im Innern wusste er, dass es noch nicht vorbei war.
Er erwiderte die Ehrenbezeigung jedes Soldaten, während er die Stufen hinauf und durch die Barrikade auf das Kirchenportal zuging. Die Männer, die er kannte, wirkten auf ihn müde und blass, als hätten auch sie in den letzten Nächten wenig geschlafen. Sie freuten sich, dass er kam, das sah er ihnen an. Er wäre gerne stehen geblieben, um ein paar ermutigende Worte zu sprechen, doch er hatte nicht die Kraft dazu und ging mit zusammengepressten Lippen an ihnen vorbei. Zügig schritt er über den breiten, mit Kopfstein gepflasterten Gang auf das Portal zu, vor dem zwei Soldaten mit dem Gewehr in der Hand Wache standen.
Als sie ihn sahen, hielten sie sofort die Türflügel auf und ließen ihn eintreten. Gonzales ging auf das Weihwasserbecken zu, nahm seine Schirmmütze ab und gab sie dem Soldaten, der neben dem Becken stand. Dann klopfte er sich den Regen von der Jacke und zog die Manschetten zurecht. Zuletzt kämmte er sich mit den Fingern durch die Haare.
Kein Ton war in der Kirche zu hören. Gonzales tauchte den Zeigefinger ins Weihwasser, bekreuzigte sich und hob kurz den Blick zur Decke. Im Stillen betete er, dass er unter den kommenden Eindrücken nicht den Verstand verlieren möge.
Sowie er um die Säulen herumgegangen war und das prächtige Kirchenschiff betrat, zitterten ihm vor Angst die Knie. Fast alle Bänke waren voll besetzt mit Soldaten. Zum ersten Mal in seinem Leben war er nicht von Ehrfurcht ergriffen, als er das viele Blattgold und die große Kuppel sah, die auf vier verzierten Bögen und gigantischen Säulen ruhte. Auch schaute er nicht zu den Wandgemälden oder den zahlreichen religiösen Gegenständen, die die Wände schmückten und das eindrucksvolle Steintabernakel umgaben. Er sah sich nach dem Bischof um, denn um diesen drehten sich alle seine Gedanken.
Gonzales fühlte sich wie ein wehrloses Tier. Er wusste genau, was dieser Mann von ihm erwartete. Er setzte sich in die erste Reihe neben Capos, der ein grimmiges Gesicht machte. Gonzales sah auf die Uhr. Einen Augenblick später läuteten die Glocken der Kathedrale einen einzelnen unheilvollen Schlag, um anzuzeigen, dass eine Stunde vergangen war.
In der Kirche war es vollkommen still, und die Sekunden erschienen lang wie Minuten. Niemand wagte es, sich zu rühren. Ganz anders als an den Sonntagen, wenn viele Kinder in den Bänken saßen. Man hätte kaum sagen können, ob überhaupt eine lebendige Seele atmete.
Von der Sakristei näherten sich einzelne Schritte. Gonzales erkannte an ihrem Klang sofort, wer da kam.
Er blickte in Richtung der Schritte und hielt die Luft an. Er wollte stark wirken, wenn ihn der Blick des Bischofs traf, was unweigerlich geschehen würde. Und da erschien er in seinem prächtigen Bischofsgewand, Francisco von Santo Domingo, der dreiunddreißigste Bischof von Cusco. Er hielt die Hände hinter dem Rücken und die Schultern gebeugt, als ob die ganze Welt darauf lastete. Überraschenderweise schaute er nicht zu den versammelten Soldaten hin. Er schritt an ihnen vorbei, als wäre er allein, und hielt die Augen vor sich auf den Boden gerichtet.
Gonzales nutzte die Gelegenheit für einen tiefen, gequälten Atemzug, von dem er hoffte, dass er seinen Männern ringsum verborgen bleiben würde.
Der Bischof sah abgezehrt und blass aus, als hätte ihm jemand das Leben ausgesaugt und nur Haut und Knochen übrig gelassen. Seine Lippen waren trocken und rissig, und unter den Augen hatte er schwärzliche Ringe, als hätte ihm ein Esel ins Gesicht getreten. Gonzales war für einen Moment erstaunt darüber, dass er diesen ungesunden, jämmerlichen Greis überhaupt fürchtete. Es war nur die Pracht der Robe und des roten Biretts, die dem Mann Präsenz verlieh.
Die Hand aufs Geländer gestützt, schleppte sich Bischof Francisco die drei mit Teppich belegten Stufen zum
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