Die vergessenen Schwestern (Hackenholts erster Fall) (German Edition)
könnt bis zum Treppenabsatz im ersten Stock gehen, wenn es unbedingt sein muss, aber keinen Schritt weiter«, sagte sie anstelle einer Begrüßung.«
Der Tote lag bäuchlings auf den Stufen zwischen der ersten und zweiten Etage. Auf den Treppenstufen über ihm waren verschmierte dunkle Flecken erkennbar. Seine Füße zeigten zum ersten Stock hinunter. Das war ungewöhnlich: Wenn man auf der Treppe stürzte, fiel man sie normalerweise hinunter und nicht hinauf. Hackenholt betrachtete die leblose Gestalt genauer. Der Kopf war unnatürlich weit nach hinten überstreckt, der starre Blick auf das Geländer geheftet.
»Warum sprecht ihr nicht schon mal mit den Leuten, die ihn gefunden haben? Dann können wir hier in Ruhe weitermachen«, schlug Mur den beiden Ermittlern nonchalant vor. Auch der Kollege vom Erkennungsdienst wartete ruhelos von einem Fuß auf den anderen tretend darauf, mit seiner Arbeit beginnen zu können.
»Um in den dritten Stock zu kommen, müsst ihr die Treppe wieder hinuntergehen und dann mit dem Aufzug vom Erd- in das Zwischengeschoss zwischen dem zweiten und dem dritten Stock fahren«, setzte Mur noch eins drauf, als die beiden Beamten ihrem Vorschlag nicht schnell genug Folge leisteten.
Die Wohnungstür im dritten Stock war nur angelehnt. Im Flur kam den Ermittlern eine junge Kollegin entgegen.
»Dominik Schwartz sitzt mit seinem Vater in der Küche. Die Mutter hat ein Schlafmittel genommen und ist nicht wirklich wachzubekommen.«
In der großen Wohnküche war für viel mehr Leute Platz, als nur für die zwei, die nun am Tisch wartend dasaßen. Hackenholt stellte sich und seinen Kollegen vor, dann wandte er sich an den Jungen, der seiner Schätzung nach um die sechzehn sein mochte.
»Sie haben den Mann gefunden?«
»Ja«, antwortete der Junge einsilbig.
»Wissen Sie, wie spät es war?«
Dominik zuckte mit den Schultern und zupfte mit den Fingern nervös an einem Pickel herum. »Muss wohl so halb zwei gewesen sein.«
»Was genau ist passiert?«
»Ich bin die Treppe raufgekommen, und da hat er plötzlich genau vor mir gelegen.« Als der Ermittler nichts sagte, fuhr er aggressiv fort: »Mensch, ich bin ganz schön erschrocken, wegen dem ganzen Blut und so.«
»Und was haben Sie dann gemacht?«, fragte Hackenholt, ohne auf den Ton des Jungen einzugehen.
»Ich habe meinen Vater geholt.«
»Ich hatte zwar schon geschlafen«, ergriff jetzt Herr Schwartz das Wort, »bin aber trotzdem sofort mit unserem Erste-Hilfe-Kasten die Treppen hinunter, um nachzuschauen, was da los ist. Aber ich konnte nichts mehr für Peter tun. Deshalb habe ich die Polizei gerufen.«
»Haben Sie ihn angefasst oder bewegt?«
»Natürlich.« Herr Schwartz schüttelte verwundert den Kopf »Ich habe ihn an der Schulter gerüttelt, weil ich dachte, dass er bewusstlos ist. Und da er sich nicht gerührt hat, habe ich nach einem Puls getastet, aber dann habe ich seine offenen, starren Augen gesehen und wusste, dass es zu spät war.«
»Haben Sie im Laufe des Abends kein ungewöhnliches Geräusch im Treppenhaus gehört? Ich meine, bevor Ihr Sohn nach Hause gekommen ist?«
Bedauernd schüttelte der Mann den Kopf. »Nein, tut mir leid. Ich habe geschlafen.«
Jetzt schaltete sich Wünnenberg in das Gespräch ein, der das Gesagte bislang gewissenhaft mitprotokolliert hatte. »Dominik, als Sie nach Hause kamen, war die Haustür da abgesperrt?«
»Natürlich nicht«, antwortete der Junge ohne zu zögern.
»Wir sind hier im Haus übereingekommen, dass wir die Haustür auch nachts nicht abschließen. Es ist viel zu unpraktisch, wenn die Leute von ganz oben immer erst hinunterfahren müssen, um die Tür aufzusperren, wenn sie abends Besuch bekommen«, schob der Vater als Erklärung hinterher.
»Ich habe noch eine ganz andere Frage«, wechselte Hackenholt das Thema. »Hat Herr Siebert alleingelebt? Als die Kollegen an seiner Tür klingelten, hat niemand geöffnet.«
»Peter war nicht gebunden. Aber seine Eltern leben noch. Sie besitzen irgendwo außerhalb einen Bauernhof.«
Die beiden Beamten fuhren mit dem Aufzug wieder hinunter ins Erdgeschoss. Christine Mur lehnte mit einem Becher Kaffee an der Wand, die aufgeschraubte Thermoskanne stand neben ihr auf dem Boden.
»Wir warten auf Dr. Puellen.« Ihr Blick sprach Bände. Sie mochte den kleinen und etwas fülligen, aber umso dynamischeren Rechtsmediziner nicht sonderlich.
»Was sagst du zu dem Ganzen hier?« Hackenholt warf ihr einen fragenden Blick zu.
Sie zuckte
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