Die vergessenen Schwestern (Hackenholts erster Fall) (German Edition)
sein!«, entfuhr es der Frau.
»Es tut mir sehr leid«, war alles, was Hackenholt darauf sagen konnte.
»Ich habe es ja schon immer gewusst«, wetterte Herr Siebert plötzlich los. »Dieses verdammte Motorrad! Gefahren ist er damit wie der Henker. Immer hab ich ihm gesagt, er soll sich ein anständiges Auto kaufen, aber auf seinen Vater hört man ja nicht.« Der alte Mann war vor Zorn rot angelaufen.
»Nein«, versuchte Hackenholt den aufgebrachten Mann zu bremsen. »Es war nicht das Motorrad. Ihr Sohn ist im Treppenhaus in der Meuschelstraße umgekommen.«
Die Frau holte ein Taschentuch aus ihrer Schürzentasche und presste es sich auf den Mund. Undeutlich hörte man sie dahinter murmeln: »Mein Gott, er hat immer so viel getrunken.«
»Wir müssen auf das Ergebnis der Obduktion warten. Im Moment wissen wir noch nichts Genaues. Es kann ein Unfall gewesen sein, aber wir können auch Fremdeinwirken nicht ausschließen. Ich weiß, dass das für Sie ein furchtbarer Schock ist, aber ich würde Ihnen dennoch gerne schon jetzt ein paar Fragen stellen.«
Aus dem Augenwinkel nahm Hackenholt wahr, dass Berger seinen Notizblock herausholte und sich anschickte, das Gespräch zu protokollieren.
»Hatte Ihr Sohn eine Freundin?«
Der Vater zuckte mit den Schultern, aber die Mutter antwortete mit leiser, zittriger Stimme. »Im Moment nicht. Seine letzte hat sich erst vor ein paar Wochen von ihm getrennt. Dabei war sie so eine nette.« Nach einem Moment fügte sie seufzend hinzu: »Aber lange hat es in den letzten Jahren eigentlich keine Frau mit ihm ausgehalten.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Hackenholt vorsichtig nach.
»Na, sein ständiges In-die-Kneipe-Gerenne und das viele Bier«, schnaubte die Mutter.
»Ach, sei still«, fuhr der Mann sie an. »Er war wie jeder andere junge Mann! Du willst nur immer, dass alle zu Hause sitzen.«
Hackenholt wechselte das Thema. »Können Sie mir sagen, wo Ihr Sohn gearbeitet hat?«
»Zur Zeit war er arbeitslos«, erwiderte der Vater schroff. »Das kann heutzutage jedem passieren, wenn man nicht gerade Beamter ist.«
»Vater«, mahnte die Frau. »Peter war bis vor einem halben Jahr bei Ericsson beschäftigt, aber die Niederlassung in Nürnberg wurde geschlossen, und alle Mitarbeiter entlassen. Peter hat seither immer mit dem Gedanken gespielt, sich selbständig zu machen.«
»Können Sie mir etwas über seine Freunde sagen?«
»Er hat sich in den letzten Jahren immer mehr von uns zurückgezogen«, erklärte die Mutter bekümmert. »Früher war er mit dem Jürgen Degel und dessen Bruder Günther sehr gut befreundet, aber was daraus geworden ist, weiß ich nicht. Jürgen ist vor ein paar Jahren nach Brandenburg gezogen, weil er dort eine Stelle bekommen hat. Er ist Jurist. Sein Bruder lebt, glaube ich, noch immer in Fürth, zumindest hatte er dort bis vor ein paar Jahren eine Zoohandlung.«
»Dass wir von denen nichts mehr hören, ist auch gut so«, polterte der Vater wieder los. »Die haben immer nur Scherereien gemacht.«
Ein kurzer Blick bestätigte Hackenholt, dass Berger die beiden Namen notiert hatte. »Fällt Ihnen sonst noch jemand ein?«
Die Frau schüttelte stumm den Kopf.
»Haben Sie noch weitere Kinder?«
»Einen Sohn und eine Tochter, aber zu denen hatte Peter kein besonders gutes Verhältnis. Er ist in den letzten Jahren ein Einzelgänger geworden.«
Trotzdem vermerkte Berger auch noch Namen und Adressen der Geschwister, bevor sich die beiden Polizisten verabschiedeten.
Auf dem Weg zum Auto zückte Hackenholt sein Handy. Wünnenberg teilte ihm mit, dass Christine Mur schon mit ihrem Team in die Meuschelstraße aufgebrochen gewesen war, als Stellfeldt und er von der Obduktion zum Präsidium zurückgekommen waren. Deswegen hatten sie ausgemacht, die Vormittagsbesprechung nicht im Präsidium, sondern in Peter Sieberts Wohnung abzuhalten. Hackenholt versprach in einer Viertelstunde da zu sein.
»Was hältst du von dem, was die Eltern gesagt haben?«, fragte er Berger, nachdem er das Telefon ausgeschaltet hatte.
»Hm, für mich hat es so geklungen, als ob Siebert nicht sonderlich viel Kontakt zu ihnen gehabt hätte. Das ist ihm wohl auch nicht zu verdenken, wenn sie ihn immer kritisiert haben.«
»Ich glaube auch, dass die Eltern nicht zugeben wollten, wie wenig sie in Wirklichkeit von ihrem eigenen Sohn wissen.«
In der Meuschelstraße mussten sie erst zwei Runden um den Block drehen, bis sie in einer Nebenstraße eine Parklücke entdeckten, in die
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