Die vergessenen Schwestern (Hackenholts erster Fall) (German Edition)
aufwartete, die im Laufs des Tages für noch mehr Regen sorgen würden. Während der Kaffee langsam durch die Maschine tröpfelte, duschte Hackenholt ausgiebig, um richtig wach zu werden. Anschließend fuhr er ins Präsidium.
Im Geschäftszimmer seines Kommissariats wurde ihm mitgeteilt, dass sich nun auch noch die Kollegin Simone Honka mit einer Grippe krank gemeldet hatte. Leise Verwünschungen vor sich hinmurmelnd ging Hackenholt in sein Büro. Das Kommissariat war aufgrund der ersten Grippewelle des Herbstes mittlerweile hoffnungslos unterbesetzt. Noch dazu befanden sich zwei Kollegen auf Fortbildung, einer unerreichbar im Urlaub, und eine weitere Kollegin war vor einer Woche in Mutterschutz gegangen.
Auf seinem Schreibtisch fand Hackenholt eine Notiz, die Wünnenberg ihm hinterlassen hatte: Er war mit Manfred Stellfeldt zu der für sieben Uhr fünfzehn angesetzten Obduktion gefahren. Typisch Dr. Puellen – er begann sein Tagwerk bevorzugt in den frühen Morgenstunden. Hackenholt seufzte. Was sollte er nun tun? Ihm blieb nichts anderes übrig, als zur PI Mitte hinüber zu gehen und zu fragen, ob ein Kollege von der Streife entbehrt werden konnte, damit er jemanden hatte, der ihn begleitete. Zu seinem Erstaunen sah er Christian Berger an einem der Schreibtische sitzen und arbeiten. Als er auf ihn zutrat, blickte der junge Polizist auf.
»Guten Morgen.«
»Hallo, Christian. Was machst du denn noch hier? Du hattest doch Nachtschicht.«
»Ich bin für einen Kollegen eingesprungen, damit er heute freinehmen kann«, grinste der junge Mann gutmütig.
»Hast du Lust, in den nächsten Tagen bei uns im Kommissariat mitzuarbeiten? Wir sind gerade hoffnungslos unterbesetzt, und ich bräuchte dringend einen Kollegen, auf den ich mich verlassen kann.«
»Von mir aus gerne, ich wollte schon immer mal im K 11 hospitieren.«
»Dann kläre ich das sofort mit deinem Dienststellenleiter ab. Du wärst mir am liebsten, zumal du ja auch am Tatort warst und dich in der Sache schon auskennst.«
Zurück in seinem Büro, griff Hackenholt zum Telefonhörer und verschwendete keine Zeit mit Höflichkeiten, sondern bat Bergers Chef, den jungen Schutzpolizisten für die nächsten Tage zu ihm abzustellen. Sobald er das Okay hatte, schrieb er Wünnenberg einen Zettel, mit wem er zu den Eltern des Verstorbenen gefahren war.
Es war schon kurz nach acht, als sich Hackenholt endlich mit Berger auf den Weg nach Boxdorf machte, wo Peter Sieberts Eltern wohnten. Wie von Herrn Schwartz angekündigt, entpuppte sich die gesuchte Adresse tatsächlich als ein Bauernhof. Die Hofstelle wurde an einer Seite von einem Wohnhaus und an den anderen beiden Seiten von alten Holzscheunen begrenzt. Alles lag sauber und verlassen da. Nachdem die Beamten ausgestiegen waren, konnten sie ein paar Hühner gackern hören.
Hackenholt klingelte an der niedrigen Tür des alten sandsteinernen Wohnhauses. Nach einer Weile näherten sich schlurfende Schritte. Die Tür wurde geöffnet, ein älterer Mann schaute den Hauptkommisar fragend an. Sein Gesichtsausdruck wechselte jedoch schlagartig, als er Berger samt Uniform erblickte.
»Ja?«
»Hackenholt, Kripo Nürnberg und das ist mein Kollege Berger. Guten Morgen. Sind Sie Herr Siebert?«
»Wer ist da?«, hörten sie eine weibliche Stimme aus dem Inneren des Hauses fragen.
»Die Polizei«, rief der Mann.
Zögerlich führte er sie in das Zimmer gleich links neben der Haustür. Es war wohl die »gute Stube«, wie man sie früher genannt hätte: Ein Raum mit niedriger Decke und dunklen, blank polierten Eichendielen. Obwohl die Wände weiß gekalkt waren, machte der Raum einen düsteren Eindruck, was sicher auch davon kam, dass nur wenig Tageslicht durch die kleinen, eher an Gucklöcher erinnernden Fenster hereindringen konnte. Die Einrichtung bestand aus alten Möbeln des vorigen Jahrhunderts. Der einzige Komfort, den Hackenholt entdecken konnte, war ein Heizkörper an der einen Wand und ein riesiges Fernsehgerät auf der anderen Seite des Raumes. Als sie sich gerade setzen wollten, kam eine Frau herein, die sich geschäftig ihre Hände an der Schürze abwischte.
»Ich war gerade noch beim Abwaschen«, entschuldigte sie sich.
»Das ist meine Frau«, erklärte Herr Siebert. »Worum geht es denn?«
»Ich habe sehr schlechte Neuigkeiten für Sie«, begann Hackenholt seine traurige Nachricht. »Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Sohn Peter heute Nacht tot aufgefunden wurde.«
»Aber das kann doch nicht
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