Die Vergessenen. Thriller (German Edition)
Mädchen!«, denkt sie. »Das ist nur jemand, der hier im Dunkeln entlanggeht. Du hast ihn nicht einmal erkannt und er weiß nicht, wer du bist. Es war bestimmt jemand, der einfach nur nach Hause geht.«
Sie muss husten. Dann beugt sie sich zum Handschuhfach hinunter und öffnet es. Sie wühlt einen Moment darin herum, bis sie gefunden hat, was sie sucht. Einen Elektroschocker mit zweihunderttausend Volt, nur zur Sicherheit.
Sie hat sich entschlossen auszusteigen und der Gestalt hinterherzulaufen, denn sie will wissen, wohin sie geht.
Eva greift zum Türgriff und betätigt ihn. Nachdem sie ausgestiegen ist, nimmt sie den Elektroschocker in die rechte Hand und versteckt ihn hinter ihrem Rücken. Sie bleibt noch einen Moment neben dem Auto stehen und sieht sich um.
Wohin ist sie nur verschwunden? Eva läuft einige Meter die Straße hinunter bis zu einer Kurve. An diesem Straßenabschnitt sind die Bäume höher und lassen noch weniger Mondlicht hindurch, Straßenbeleuchtung gibt es keine. Würde die Gestalt jetzt vor ihr stehen, sie würde sie nicht sehen können. Sie holt den Elektroschocker hinter ihrem Rücken hervor, dreht sich um und geht zurück zum Auto.
Kimski betritt einen kahlen Raum. Darin befinden sich einige Kisten und tatsächlich – aneinandergereiht stehen drei schmale Aktenschränke. Er tritt näher heran und richtet den Strahl seiner Lampe auf sie. Sie bestehen jeweils aus drei Fächern, die mit Zetteln beschriftet sind. Das Papier ist vergilbt, die Buchstaben sind in Sütterlinschrift eher gemalt als geschrieben und nur schwer entzifferbar. Kimski braucht einen Moment, bis er überhaupt etwas lesen kann. Dann findet er heraus, dass an erster Stelle der Ortsname steht, gefolgt von einer Jahreszahl. Die oberste Schublade des mittleren Schranks ist mit Mannheim 1945 gekennzeichnet. Er zieht sie auf und zuckt zusammen.
Sie ist leer.
»Mist!«
Kimski öffnet weitere Schubladen. Berlin 1944 , voll. Heidelberg 1940 , ebenfalls vollgestopft mit schmalen braunen Aktenmappen.
Er will gerade eine Kladde aus dem Fach Ostgebiete 1942 ziehen, als ein Geräusch ihn zusammenfahren lässt.
Hastig schiebt er die Schublade wieder zu und schaltet die Taschenlampe aus. Behutsam, einen Fuß vor den anderen setzend, schleicht er zur Tür. Im Türrahmen bleibt er stehen. Schritte, die lauter werden. Der Schein einer Taschenlampe taucht am Ende des Tunnels auf und nähert sich langsam. Noch jemand, der eine Taschenlampe benutzt. Dann wird derjenige, wer auch immer es ist, vielleicht gar nicht wissen, dass der Strom abgeschaltet ist.
Kimski macht einen Schritt zurück und überlegt. Es scheint so, als käme die Person direkt auf ihn zu. Wo kann er sich verstecken? Er ertastet einige Kisten zu seiner Rechten. Er legt sich dahinter, quetscht sich in den schmalen Zwischenraum zwischen Kisten und der kalten Wand.
Plötzlich fällt der Lichtstrahl in den Raum und unmittelbar darauf tritt jemand ein. Kimski presst sich noch fester in seine Nische. Mühsam versucht er, seine Atmung zu verlangsamen. Er zählt die Sekunden: »Eins, zwei ...« Er spürt, wie sein Puls sich dennoch beschleunigt und sein Blut in seiner Halsschlagader unwillkürlich pocht. »Drei.«
Offensichtlich hat man ihn nicht entdeckt, denn die Person geht weiter und bleibt dann stehen. Kimski hört, wie eine Schublade aufgezogen wird. Er neigt seinen Oberkörper etwas nach vorn und lugt über den Rand einer Kiste. Die Person steht vor den Aktenschränken und hat das Fach aufgezogen, für das er sich ebenfalls interessiert – Mannheim 1945 . Offenbar ist sie ebenso verblüfft wie er, jedenfalls greift sie mehrmals in die Schublade und tastet alles ab. Dann tritt sie mit Wucht gegen den Kasten.
Da das Licht der Taschenlampe nicht auf sie gerichtet ist und nicht von den dunklen Steinwänden reflektiert wird, nimmt Kimski nur die schwarze Silhouette der Gestalt wahr. Er kann nicht mal sagen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt.
Einen Moment lang steht die Person wie versteinert da, dann kommt sprichwörtlich wieder Bewegung in die Angelegenheit, denn alle Schubladen werden aufgerissen und die Akten in irgendeine Art Sack geschmissen. Als die Person einen Schritt zurücktritt, nimmt Kimski seinen Kopf wieder herunter, um nicht entdeckt zu werden, wieder fängt er an zu zählen. Bei acht ist die Gestalt aus dem Raum verschwunden. Ihre Schritte werden leiser. Vorsichtig schält sich Kimski aus seinem Versteck und atmet auf.
18.
Montag,
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