Die vergessenen Welten 01 - Der gesprungene Kristall
fand sich schnell in die Defensive gedrängt. Sein Vater hatte ihn einst gewarnt, daß er im Umgang mit Menschen stets im Nachteil sei, einfach weil sie größer waren und im Gespräch auf ihn herunterschauen mußten, so wie sie es bei ihren Kindern taten. In Situationen wie dieser erfuhr Regis die Bedeutung dieser Worte seines Vaters immer wieder schmerzhaft aufs neue. Er wischte sich eine Schweißperle von der Oberlippe.
»Ich kann nicht für euch sprechen«, fuhr Kemp fort und kicherte, um die ernste Warnung des Halblings lächerlich erscheinen zu lassen, »aber ich habe Wichtigeres zu erledigen, als auf das Wort eines Dunkelelfen hin Hektik zu entwickeln!« Wieder lachte der stämmige Mann, und diesmal lachte er nicht allein.
Agorwal aus Termalaine leistete dem Halbling, dem die Angelegenheit zu entgleiten drohte, unerwarteten Beistand. »Vielleicht sollten wir den Sprecher aus Waldheim weiterreden lassen.
Wenn seine Worte der Wahrheit entsprechen...«
»Seine Worte geben doch nur die Lügen eines Dunkelelfen wieder!« knurrte Kemp. »Schenkt ihnen keine Beachtung. Wir haben doch schon früher die Barbaren bekämpft, und...«
Aber dann wurde auch Kemp unterbrochen, denn Regis sprang plötzlich auf den Sitzungstisch. Jetzt kam der gefährlichste Teil des Plans. Der Dunkelelf war von seinem Erfolg völlig überzeugt gewesen und hatte ihn so sachlich dargelegt, als könnte es auf keinen Fall Probleme geben. Aber Regis hatte bereits das Gefühl, daß sich um ihn herum eine Katastrophe zusammenbraute. Er schlug die Hände auf den Rücken und versuchte, beherrscht auszusehen, damit Cassius nicht sofort Maßnahmen gegen sein ungewöhnliches Auftreten ergriff.
Während der Ablenkung durch Agorwal hatte Regis den Rubinanhänger unter seiner Weste hervorgeholt. Jetzt lag er funkelnd auf seiner Brust, während er auf und ab schritt, als wäre der Tisch seine persönliche Bühne.
»Was wißt ihr denn schon von dem Dunkelelfen, daß ihr über ihn so spottet?« herrschte er sie, ganz besonders aber Kemp, an. »Kann mir einer von euch eine Person nennen, der er jemals Schaden zugefügt hätte? Nein! Ihr bestraft ihn für die Verbrechen seiner Rasse. Aber hat einer von euch auch nur einmal in Erwägung gezogen, daß Drizzt Do'Urden unter uns weilt, weil er die Wege seines Volkes ablehnt?« Das Schweigen im Saal überzeugte Regis davon, daß sein Auftritt entweder sehr eindrucksvoll oder ausgesprochen lächerlich war. Auf jeden Fall war er weder so arrogant noch so dumm, daß er glaubte, mit dieser kleinen Rede seine Aufgabe bereits erfüllt zu haben.
Er ging zu Kemp und sah ihm ins Gesicht. Diesmal war er derjenige, der herunterschaute, aber der Sprecher aus Targos schien lediglich mit einem Lachanfall zu kämpfen.
Regis mußte schnell handeln. Er bückte sich leicht und hob die Hand an sein Kinn, als wollte er sich kratzen, aber in Wirklichkeit stieß er mit dem Arm den Rubinanhänger an, damit er sich bewegte. Dann machte er sich das Schweigen der Ratsversammlung zunutze und zählte, wie Drizzt ihn angewiesen hatte. Nach zehn Sekunden hatte Kemp immer noch nicht geblinzelt. Drizzt hatte gesagt, daß diese Zeit genügen würde, aber Regis, überrascht und gleichzeitig besorgt, daß alles so problemlos vor sich gegangen war, ließ weitere zehn Sekunden verstreichen, bevor er sich traute, die Aussagen des Dunkelelfen auf die Probe zu stellen.
»Ihr seht doch bestimmt ein, daß es klug ist, sich auf einen Angriff vorzubereiten«, legte Regis ruhig dar. Dann sprach er mit einem Flüstern weiter, so daß nur Kemp ihn verstehen konnte: »Diese Leute erwarten von dir, daß du sie führst, großer Kemp. Ein Militärbündnis würde doch nur deine Größe und deinen Einfluß verstärken.«
Die Wirkung seiner Worte war atemberaubend.
»Vielleicht liegt mehr Wahrheit in den Worten des Halblings, als wir anfangs geglaubt haben«, meinte Kemp mit schleppender Stimme. Seine Augen waren glasig, unverwandt hielt er den Blick auf den Rubin gerichtet.
Verblüfft richtete sich Regis auf und ließ den Stein schnell wieder unter seiner Weste verschwinden. Kemp schüttelte den Kopf, als wollte er seine Gedanken von einem verwirrenden Traum befreien, und rieb sich die Augen. Der Sprecher aus Targos schien sich zwar nicht an die letzten Sekunden zu erinnern, aber die Eingebung des Halblings war tief in seinem Denken verankert. Kemp stellte zu seiner eigenen Verblüffung fest, daß sich seine Meinung geändert hatte.
»Wir sollten sehr
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