Die vergessenen Welten 01 - Der gesprungene Kristall
Barbaren werden jetzt sehr schnell kommen, da sie bestimmt vor dem ersten Schnee angreifen wollen.« Während er sprach, bemerkte der Dunkelelf aus dem Augenwinkel ein winziges Aufflackern von Licht. Er erhob sich aus seiner hockenden Stellung so schnell, daß er dem Halbling einen Schrecken einjagte, und wandte sich in Richtung auf das Flackern. Unwillkürlich spannte er die Muskeln an und versuchte angestrengt, in der Ferne etwas zu erkennen und eine Bestätigung zu finden.
»Was...«, begann Regis, aber Drizzt brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. Am Horizont blitzte ein zweites Feuer auf.
»Dein Wunsch hat sich erfüllt«, erklärte Drizzt mit Nachdruck.
»Sind sie da?« flüsterte Regis. Nachts konnte er nicht annähernd so gut sehen wie der Dunkelelf.
Drizzt stand kurze Zeit schweigend da und versuchte, die Entfernung der Lagerfeuer zu schätzen und die Zeit, die die Barbaren bis zu ihrem Ziel brauchen würden.
»Geh zu Bruenor und Cassius, kleiner Freund«, sagte er schließlich, »und teile ihnen mit, daß die Barbaren morgen, wenn die Sonne im Zenit steht, Bremens Paß erreichen werden.«
»Komm doch mit«, schlug Regis vor, »sie werden dich bestimmt nicht ärgern, wenn du ihnen diese dringende Nachricht überbringst.«
»Ich habe eine wichtigere Aufgabe zu erledigen«, erwiderte Drizzt. »Jetzt mach dich auf den Weg. Sag Bruenor — aber nur Bruenor —, daß ich ihn im ersten Licht der Dämmerung an Bremens Paß erwarte.« Gleich darauf verschwand er in der Dunkelheit. Vor ihm lag eine weite Reise.
»Wohin gehst du denn?« rief Regis ihm nach.
»Ich mache mich auf die Suche nach dem Horizont des Horizonts!« ertönte es aus der schwarzen Nacht.
Und dann war nur noch das Murmeln des Windes zu hören.
Die Barbaren waren gerade mit dem Aufbau ihres Lagers fertig geworden, als Drizzt es erreichte. So nahe an Zehn-Städte waren die Eindringlinge auf der Hut, und Drizzt fielen gleich die vielen Wachen auf. Aber wenn sie auch wachsam waren und ihre Lagerfeuer niedrig brannten, so war es doch Nacht — und die Nacht war die Zeit der Dunkelelfen. Die sonst so fähigen Wächter wurden von einem Elfen bei weitem übertroffen, der aus einer Welt kam, die kein Licht kannte, von einem, der magische Dunkelheit heraufbeschwören konnte, die selbst die schärfsten Augen nicht zu durchdringen vermochte, und der sie wie einen Umhang mit sich tragen konnte. Unsichtbar wie ein Schatten in der Dunkelheit und mit Schritten, die so lautlos waren wie die einer Katze, die sich anschleicht, ging Drizzt an den Wachmännern vorbei und betrat das Lager. Noch eine Stunde zuvor hatten die Barbaren Kriegslieder gesungen und von der Schlacht geredet, die sie am nächsten Tag führen wollten. Doch auch die Vorfreude auf die morgige Schlacht und das Blutvergießen konnte die Erschöpfung von dem anstrengenden Marsch nicht vertreiben. Die meisten Männer schliefen tief und fest, und ihr ruhiges, rhythmisches Atmen beruhigte Drizzt, der auf der Suche nach ihren Anführern, die sicherlich noch mit dem Schlachtplan beschäftigt waren, sich seinen Weg durch ihre Reihen bahnte.
Im Lager standen viele Zelte, aber nur bei einem einzigen wurde der Eingang von Kriegern bewacht. Die Zeltöffnung war zugezogen, doch Drizzt hörte rauhe Stimmen, die sich oft im Zorn erhoben. Der Dunkelelf schlich um das Zelt herum zu dessen rückwärtiger Seite. Glücklicherweise war es den Kriegern nicht erlaubt worden, in unmittelbarer Nähe des Zeltes zu schlafen, so daß Drizzt weitgehend ungestört war. Trotzdem holte er vorsichtshalber die Pantherstatuette aus seinem Gepäck hervor. Dann schnitt er mit einem schlanken Dolch ein kleines Loch in eine Hirschlederplane und spähte in das Zelt hinein.
Dort waren acht Männer versammelt: sieben Barbarenhäuptlinge und ein schmächtiger, dunkelhaariger Mann, der auf keinen Fall der nördlichen Rasse angehörte, wie Drizzt erkannte. Die Häuptlinge saßen auf dem Boden und bildeten einen Halbkreis um den Südländer, der stehen geblieben war. Sie stellten ihm Fragen über das Gelände und die Streitkräfte, auf die sie am nächsten Tag stoßen würden.
»Wir sollten zuerst die Stadt im Wald zerstören«, erklärte der größte Mann im Zelt mit Nachdruck, möglicherweise der größte Mann, den Drizzt je gesehen hatte. Er trug das Zeichen des Elches. »Und danach können wir uns wie bei deinem Plan um die Stadt Bryn Shander kümmern.«
Der schmächtige Mann wirkte zwar nervös und wütend, aber
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