Die vergessenen Welten 01 - Der gesprungene Kristall
einem vorsichtigen Blick in die Runde wischte er sich die Tränen aus den grauen Augen.
Wie der Herr befiehlt
»Sammle deine Leute um dich, und mach dich auf den Weg, Biggrin!« befahl der Zauberer dem gewaltigen Frostriesen, der vor ihm im Thronsaal von Cryshal-Tirith stand. »Vergiß nicht, daß du die Armee von Akar Kessell verkörperst. Ihr seid die erste Truppe, die das Gelände betritt, und Geheimhaltung ist der Schlüssel zu unserem Sieg! Enttäusche mich nicht! Ich werde jeden deiner Schritte verfolgen.«
»Wir werden dich nicht enttäuschen«, erwiderte der Riese. »Die Höhle wird eingerichtet sein, wenn du kommst!«
»Ich vertraue dir«, versicherte Kessell dem riesigen Befehlshaber. »Geh jetzt!«
Der Frostriese hob den eingewickelten Spiegel auf, den Kessell ihm gegeben hatte, verbeugte sich zum letzten Mal vor seinem Herrn und verließ den Saal.
»Du hättest sie nicht schicken dürfen«, zischte Errtu, der die ganze Zeit unsichtbar neben dem Thron gestanden hatte. »Die Verbeeg und der Frostriese werden in einer Gemeinde von Menschen und Zwergen leicht auszumachen sein.«
»Biggrin ist ein kluger Anführer«, gab Kessell zurück, der sich über die Unverschämtheit des Tanar-Ris ärgerte. »Der Riese ist listig genug, die Soldaten außer Sicht zu halten!«
»Trotzdem wären Menschen für diese Mission besser geeignet gewesen, das hat dir ja auch Crenshinibon bereits erläutert.«
»Ich bin der Anführer!« schrie Kessell. Er holte den Gesprungenen Kristall unter seiner Robe hervor und schwang ihn drohend vor Errtu. Er beugte sich vor, um seine Drohgebärde noch zu unterstreichen. »Crenshinibon berät mich zwar, aber ich treffe die Entscheidungen! Vergiß nicht, wo dein Platz ist, mächtiger Tanar-Ri. Ich bin der Herr über den Kristall, und ich werde es nicht dulden, daß du jeden meiner Schritte in Frage stellst.«
Errtus blutrote Augen verengten sich gefährlich, und Kessell hatte plötzlich Bedenken, ob es so klug war, den Tanar-Ri zu bedrohen. Aber Errtu beruhigte sich schnell wieder. Er nahm die bedeutungslosen Unannehmlichkeiten von Kessells törichten Ausbrüchen angesichts der langfristigen Ziele, die er erreichen wollte, geduldig hin.
»Crenshinibon existiert seit Anfang der Welt«, schnarrte der Tanar-Ri und brachte sein letztes Argument vor. »Er hat Tausende von Feldzügen geleitet, die größer waren als der, den du jetzt unternehmen willst. Vielleicht solltest du so klug sein, seinen Ratschlägen mehr Glauben zu schenken.«
Kessell zuckte nervös zusammen. Der Kristall hatte ihm wirklich geraten, die Menschen zu benutzen und ihnen den Befehl zu einem ersten Streifzug in das Gebiet zu geben. Er hatte ein Dutzend Ausflüchte hervorgebracht, um seine Entscheidung, die Riesen zu schicken, zu untermauern. In Wahrheit aber hatte er Biggrins Leute geschickt, um sich, dem Kristall und dem unverschämten Tanar-Ri seine Befehlsgewalt zu demonstrieren, und nicht aus irgendwelchen militärischen Überlegungen heraus.
»Ich werde Crenshinibons Rat befolgen, wenn ich es für angemessen halte«, sagte er zu Errtu. Er holte einen zweiten Kristall hervor, eine genaue Kopie von Crenshinibon und dem Kristall, den er zum Bau seines Turms verwendet hatte. »Bring ihn zu einer geeigneten Stelle und vollziehe die Zeremonie des Bauens«, wies er ihn an. »Ich werde durch eine Spiegeltür zu dir kommen, wenn alles fertig ist.«
»Du möchtest einen zweiten Cryshal-Tirith bauen, obwohl der erste noch steht?« stutzte Errtu. »Dadurch wird das Relikt aber gewaltig beansprucht!«
»Schweig!« fuhr Kessell ihn an und zitterte dabei sichtbar. »Geh und vollzieh die Zeremonie! Laß den Kristall meine Sorge sein!«
Errtu nahm die Kopie des Kristalls und verneigte sich tief. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, stolzierte der Tanar-Ri aus dem Saal. Ihm war klar, daß Kessell seine Macht über den Kristall zur Schau stellte und dabei angemessene Zurückhaltung und militärische Klugheit vernachlässigte. Der Zauberer verfügte weder über die Fähigkeit noch über genügend Erfahrung, diesen Feldzug zu führen, erhielt aber trotzdem weitere Unterstützung durch den Kristall.
Errtu hatte Crenshinibon ein geheimes Angebot unterbreitet, Kessell aus dem Weg zu räumen und ihn als Herrn anzunehmen. Aber der hatte den Vorschlag des Tanar-Ris abgelehnt. Er zog die dümmlichen Vorführungen vor, die Kessell von ihm verlangte und mit denen dieser angesichts des ständigen Kampfes um die Herrschaft, den er mit dem
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