Die vergessenen Welten 02 - Die verschlungenen Pfade
bedurfte.
»Wenn ich feststellen muß, daß Kessell über meine Kräfte geht?« fragte er bitter. »Was soll ich denn tun, wenn es mit der Täuschung nicht funktioniert?«
Cassius sah auf die Tausende von Frauen und Kindern, die sich auf dem Gemeindeplatz der Stadt zum Schutz vor dem eisigen Wind zusammengekauert hatten. »Wenn es nicht funktioniert«, begann er langsam, »wenn Kessell davon nicht abgebracht werden kann, die Kraft des Turmes gegen Bryn Shander zu richten…« Er stockte wieder, nur um den Augenblick hinauszuzögern, bis er seine eigenen Worte hören mußte. »…dann hast du meinen persönlichen Befehl, die Stadt zu übergeben.«
Cassius drehte sich um und steuerte auf die Brustwehr zu, um von dort aus die entscheidende Begegnung zu verfolgen. Regis zauderte nicht länger, denn er wußte, daß er in diesem beängstigenden Augenblick sonst seine Meinung ändern und weglaufen würde, um sich in irgendeinem dunklen Loch in der Stadt zu verstecken. Bevor er überhaupt Zeit zum Nachdenken hatte, war er schon durch das Tor und marschierte kühn den Hügel hinunter auf die wartende Erscheinung von Akar Kessell zu.
Wie beim, ersten Mal war Kessell zwischen zwei Spiegeln erschienen, die von Trollen getragen wurden. Jetzt stand er mit verschränkten Armen da und stampfte mit einem Fuß ungeduldig auf den Boden. Sein bösartiger, finsterer Gesichtsausdruck erweckte in Regis den Eindruck, daß der Zauberer ihn möglicherweise in einem unkontrollierbaren Wutanfall totschlug, bevor er überhaupt den Fuß des Hügels erreicht hatte. Trotzdem mußte der Halbling die Augen unentwegt auf Kessell gerichtet halten, um sich ihm gelassen nähern zu können. Die entsetzlichen Trolle erregten bei ihm Widerwillen und einen Ekel, wie er ihn noch nie erlebt hatte, und er mußte seine ganze Willenskraft aufbieten, sich ihnen überhaupt zu nähern. Schon am Tor hatte er ihren üblen, fauligen Geruch wahrnehmen können.
Aber irgendwie gelangte er trotzdem bis zu den Spiegeln und stand schließlich dem bösen Zauberer gegenüber.
Kessell musterte den Boten eine Zeitlang. Er hatte bestimmt nicht damit gerechnet, daß ein Halbling die Stadt repräsentierte, und wunderte sich, daß Cassius nicht selber zu einem derart wichtigen Treffen gekommen war. »Kommst du zu mir als der offizielle Vertreter von Bryn Shander und allen, die sich jetzt innerhalb seiner Mauern aufhalten?«
Regis nickte. »Ich bin Regis aus Waldheim«, stellte er sich vor, »ein Freund von Cassius und ehemaliges Mitglied des Zehnerrats. Ich bin ernannt worden, für die Menschen in der Stadt zu sprechen.«
Kessells Augen verengten sich voller Vorfreude auf seinen Sieg. »Und du willst mir die Mitteilung überbringen, daß die Stadt bedingungslos kapituliert?«
Regis wand sich unruhig hin und her, um so den Rubinanhänger auf seiner Brust in Schwingung zu setzen. »Ich wünsche eine vertrauliche Besprechung mit dir, mächtiger Zauberer, damit wir die Bedingungen aushandeln können.«
Kessells Augen weiteten sich. Er sah zu Cassius auf die Mauer hinauf. »Ich sagte doch bedingungslos!« kreischte er. Hinter ihm begannen die Lichter von Cryshal-Tirith zu wirbeln und größer zu werden. »Jetzt sollst du Zeuge der Konsequenzen dieser törichten Frechheit werden!«
»Warte!« flehte Regis und hüpfte herum, um die Aufmerksamkeit des Zauberers wiederzugewinnen. »Es gibt einiges, was du wissen solltest, bevor alles entschieden wird!«
Kessell schenkte dem Gerede des Halblings wenig Beach tung, aber der Rubinanhänger fesselte plötzlich seine Aufmerksamkeit. Selbst bei dem Schutz, der ihm die Entfernung zwischen seinem wirklichen Körper und seinem Ebenbild im Spiegel bot, fand er den Edelstein faszinierend.
Regis konnte dem Drang zu lächeln nicht widerstehen, auch wenn es fast unmerklich war. Er sah, daß der Zauberer nicht mehr blinzelte. »Ich verfüge über Informationen, die du bestimmt sehr wertvoll findest«, sagte der Halbling leise.
Kessell gab ihm ein Zeichen, er solle fortfahren.
»Nicht hier«, flüsterte Regis. »Hier sind zu viele neugierige Ohren. Die versammelten Goblins wären sicher nicht erfreut zu hören, was ich dir zu sagen habe!«
Kessell dachte eine Zeitlang über die Worte des Halblings nach. Merkwürdigerweise fühlte er sich vollkommen energielos. »Na schön, Halbling«, stimmte er zu. »Ich werde mir deine Worte anhören.« Mit einem Blitz verschwand der Zauberer in einer Rauchwolke.
Regis sah über die Schulter zu den
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