Die vergessenen Welten 02 - Die verschlungenen Pfade
Menschen auf der Mauer hoch und nickte.
Nach einem telepathischen Befehl vom Turm stellten die Trolle die Spiegel so auf, daß sie jetzt Regis' Spiegelbild einfangen konnten. Zum zweiten Mal gab es einen Blitz und eine Rauchwolke, und dann war auch Regis verschwunden.
Auf der Mauer erwiderte Cassius das Nicken des Halblings, obwohl der bereits verschwunden war. Der Sprecher atmete erleichtert auf. Der letzte Blick, den Regis ihm zugeworfen hatte, hatte ihn genauso beruhigt wie die Tatsache, daß die Sonne bereits unterging und Bryn Shander immer noch stand. Falls seine Vermutung, die sich auf den Zeitpunkt der Auftritte des Zauberers gründete, zutraf, bezog Cryshal-Tirith den größten Teil seiner Energie aus dem Sonnenlicht.
Es hatte den Anschein, als ob sie mit seinem Plan zumindest eine weitere Nacht gewonnen hätten.
Selbst mit seinen getrübten Augen erkannte Drizzt den dunklen Schatten, der über ihm aufragte. Der Dunkelelf war am Kopf vom Knauf des Krummsäbels getroffen worden, als dieser vom Himmel heruntergefallen war, und Guenhwyvar, sein treuer Gefährte, hatte die vielen langen Stunden, in denen der Dunkelelf bewußtlos dalag, eine stille Wache gehalten, obwohl auch die Katze durch den Kampf mit Errtu arg zugerichtet worden war.
Drizzt setzte sich auf und versuchte, sich in seiner Umgebung zurechtzufinden. Zuerst dachte er, die Morgendämmerung wäre angebrochen, aber dann erkannte er, daß das schwache Sonnenlicht aus dem Westen kam. Er hatte den größten Teil des Tages geschlafen, denn der Krummsäbel hatte ihm in dem Kampf mit dem Tanar-Ri seine Lebensenergie entzogen und ihn völlig erschöpft zurückgelassen.
Guenhwyvar sah noch schlechter aus. Seine Schulter hing von dem Zusammenprall mit der Steinwand schlaff herunter, und Errtu hatte ihm eine tiefe Schnittwunde in einer Vorderpfote zugefügt.
Doch das magische Tier litt mehr unter Erschöpfung als unter den Verletzungen. Es hatte seine normale Aufenthaltsdauer auf der materiellen Ebene um viele Stunden überschritten. Das Band zwischen seiner Heimatebene und der des Dunkelelfen wurde nur durch seine magische Energie aufrechterhalten, und mit jeder Minute, die es auf dieser Welt verbrachte, verlor es weiter an Kraft.
Drizzt streichelte ihm den kräftigen Hals. Er verstand das Opfer, das Guenhwyvar ihm gebracht hatte, und er wünschte sich, seinen Bedürfnissen entgegenkommen und ihn in seine eigene Welt zurückschicken zu können.
Aber er konnte das nicht. Wenn die Katze jetzt zu ihrer Ebene zurückkehrte, würde es Stunden dauern, bis sie genügend Kraft gesammelt hatte, um erneut eine Verbindung zu seiner Welt herzustellen. Und er brauchte die Katze jetzt.
»Noch ein wenig länger«, flehte er. Das treue Tier legte sich neben ihn und gab kein Zeichen des Protestes von sich. Drizzt sah es voller Mitleid an und streichelte es wieder am Nacken. Wie sehr er sich doch wünschte, die Katze aus seinem Dienst entlassen zu können! Aber er konnte nicht!
Errtu hatte ihm gesagt, daß der Eingang zum Turm CryshalTirith allen Lebewesen der materiellen Ebene unsichtbar war.
Drizzt brauchte die Augen der Katze.
Eine Lüge in einer Lüge
Regis rieb sich die Augen, da ihn der Blitz immer noch blendete, und fand sich wieder vor dem Zauberer. Kessell rekelte sich auf einem Kristallthron; den Rücken hatte er gegen eine Armlehne gestützt, und die Beine lagen lässig über der anderen. Sie befanden sich in einem quadratischen Zimmer aus Kristall, dessen Wände einen glänzenden, beinahe glitschigen und gleichzeitig steinharten Eindruck machten. Regis wußte sofort, daß sie im Turm waren. Das Zimmer enthielt Dutzende von verzierten, seltsam geformten Spiegeln. Besonders ein Spiegel, der größte und mit den meisten Verzierungen, erregte seine Aufmerksamkeit, denn in dessen Tiefen brannte ein Feuer. Zuerst sah Regis sich um, um den Ursprung dieses Bildes zu finden, aber dann begriff er, daß die Flammen keine Spiegelung waren, sondern ein tatsächliches Ereignis, das sich in den Dimensionen des Spiegels abspielte.
»Willkommen in meinem Haus«, lachte der Zauberer. »Du solltest dich glücklich schätzen, diese Pracht bewundern zu dürfen!« Aber Regis richtete den Blick auf Kessell und musterte ihn eingehend. Der Ton in seiner Stimme hörte sich überhaupt nicht wie das typische Genuschel derjenigen an, die er bisher mit dem Rubin in Trance versetzt hatte.
»Verzeih mir meine Überraschung, als wir uns kennengelernt haben«, fuhr Kessell fort.
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