Die vergessenen Welten 02 - Die verschlungenen Pfade
verengten sich bösartig. »Ich kenne dich, Dunkelelf! Jeder, der einmal in Zehn-Städte gelebt hat, hat den Namen Drizzt Do'Urden in einer Geschichte oder im Scherz gehört! Behalte also deine Lügen für dich!«
»Verzeihung, mächtiger Zauberer«, sagte Drizzt ruhig und änderte seine Taktik. »Es scheint, daß du in vielen Dingen klüger bist als dein Tanar-Ri.«
Die selbstsichere Miene verschwand von Kessells Gesicht. Er hatte sich bereits gefragt, was Errtu daran gehindert hatte, seinen Ruf zu beantworten, und er musterte den Dunkelelfen daher mit mehr Respekt. Hatte dieser Einzelkämpfer etwa einen bedeutenden Tanar-Ri besiegt?
»Gestatte mir, noch einmal von vorne anzufangen«, sagte Drizzt. »Ich grüße dich, Akar Kessell!« Er verneigte sich tief. »Ich heiße Drizzt Do'Urden und bin ein Wächter des Waldes, der Gwaeron Windstrom dient, und Wächter des Eiswindtals. Ich bin gekommen, dich zu töten.«
Die Krummsäbel schnellten aus ihren Scheiden.
Aber Kessell hatte nicht einfach abgewartet. Plötzlich flackerte die Kerze in seiner Hand auf. Ihre Flamme war in dem Labyrinth aus Prismen und Spiegeln gefangen, die den Raum füllten, und wurde auf jede spiegelnde Stelle gelenkt und verstärkt. Gleichzeitig mit dem Aufleuchten der Kerze waren drei zusammenlaufende Lichtstrahlen aufgetaucht, die den Dunkelelfen in ein dreieckiges Gefängnis einschlossen. Bis jetzt wurde er von keinem Strahl berührt, aber er spürte ihre Kraft und wagte nicht, in ihre Bahn zu gelangen.
Drizzt hörte deutlich den Turm summen, der jetzt vollständig vom Tageslicht erfaßt wurde. Im Zimmer wurde es erheblich heller, und mehrere Wandverkleidungen, die im Schein der Fackeln wie Spiegel ausgesehen hatten, entpuppten sich als Fenster.
»Hast du geglaubt, du könntest einfach hier hereinspazieren und mich umbringen?« fragte Kessell ungläubig. »Ich bin Akar Kessell, du Narr! Der Tyrann von Eiswindtal! Ich befehlige die größte Armee, die jemals über die zugefrorenen Steppen dieses gottverlassenen Landes marschiert ist! Sieh dir meine Armee an!« Er winkte mit einer Hand, woraufhin einer der Wahrsagespiegel einen Teil des riesigen Lagers um den Turm herum zeigte. Sogar die Stimmen der wach werdenden Soldaten waren zu hören.
Plötzlich erscholl aus einem anderen, unsichtbaren Abschnitt des Lagers ein Todesschrei. Instinktiv konzentrierten sich der Dunkelelf und der Zauberer auf dieses ferne Geräusch und lauschten dem anhaltenden Lärm einer Schlacht. Drizzt sah Kessell neugierig an und fragte sich, ob der Zauberer eigentlich wußte, was da im nördlichen Teil seines Lagers vor sich ging.
Kessell antwortete auf die unausgesprochene Frage des Dunkelelfen mit einer Handbewegung. Einen Augenblick lang legte sich Nebel über das Bild im Spiegel, und dann erschien ein anderer Bereich des Lagers. Die Rufe und der Lärm der Schlacht drangen laut aus den Tiefen des Wahrsagespiegels zu ihnen herauf. Nachdem sich der Nebel gelichtet hatte, waren Bruenors Männer, die Rücken an Rücken inmitten einer Überzahl von Goblins kämpften, deutlich zu erkennen. Das Gelände um die Zwerge herum war mit den Leichen von Goblins und Ogern übersät.
»Siehst du wohl, wie dumm es ist, sich mir zu widersetzen?« kreischte Kessell.
»Mir scheint, daß die Zwerge gute Arbeit geleistet haben.«
»Unsinn!« schrie Kessell. Wieder machte er eine Handbewegung, und erneut verschleierte sich der Spiegel. Plötzlich ertönte das Lied an Tempus aus seinen Tiefen. Drizzt beugte sich vor und versuchte angestrengt, durch den Nebelschleier einen Blick auf den Führer des Chors zu erhaschen.
»Während diese dummen Zwerge noch ein paar meiner unbedeutenden Gefolgsleute niedermetzeln, strömen immer mehr herbei, um in mein Heer einzutreten! Der Untergang ist euch allen bestimmt, Drizzt Do'Urden! Akar Kessell kommt!«
Der Nebel lichtete sich.
Mit tausend wilden Kriegern hinter sich kam Wulfgar auf die ahnungslosen Ungeheuer zu. Die Goblins und Orks, die den anstürmenden Barbaren als erste begegneten und deren Glaube an die Worte ihres Meisters ungebrochen war, jubelten über das Eintreffen der versprochenen Verbündeten.
Dann starben sie.
Die Barbarenhorde jagte durch ihre Reihen und sang und tötete mit leidenschaftlicher Hingabe. Trotz des lauten Klirrens der Waffen konnte man heraushören, daß die Zwerge inzwischen in das Lied an Tempus eingefallen waren.
Mit großen Augen, offenem Mund und vor Zorn bebend winkte Kessell das schockierende Bild weg
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