Die vergessenen Welten 02 - Die verschlungenen Pfade
Spiegel ein reichverzierter Wandteppich zeigte, der direkt gegenüber an der Wand des Treppenschachtes hing, war seine Oberfläche völlig glatt und enthielt keinen Spalt oder Griff, der auf eine verborgene Öffnung hinwies. Drizzt steckte seine Waffen ein und fuhr mit den Händen über die Oberfläche, um zu prüfen, ob seinen scharfen Augen etwas entgangen war, aber das Befühlen des glatten Glases bestätigte nur seine Beobachtung.
Die Trolle waren bereits auf der Treppe.
Drizzt versuchte, das Glas zu durchstoßen, rief alle Befehle zum öffnen, die er jemals gelernt hatte, und suchte nach einem extradimensionalen Portal, das denen ähnlich war, aus denen Kessells entsetzliche Wächter herausgekommen waren. Aber der Spiegel blieb ein Spiegel.
Der erste Troll hatte die Treppe zur Hälfte geschafft.
»Es muß doch einen Hinweis geben!« stöhnte der Dunkelelf. »Zauberer lieben zwar Herausforderungen, aber hier hört der Spaß auf!« Die einzige mögliche Antwort lag in den komplizierten Mustern und Bildern in dem Wandteppich. Drizzt starrte auf ihn und versuchte, in den Tausenden von miteinander verwobenen Bildern einen Anhaltspunkt zu finden, der ihm den Weg in die Sicherheit zeigen würde.
Der Gestank der Trolle strömte zu ihm herauf. Er konnte das Sabbern der unersättlichen Ungeheuer hören.
Aber er mußte seinen Ekel beherrschen und sich auf die unzähligen Bilder konzentrieren. Plötzlich fiel ihm auf dem Teppich etwas ins Auge: die Zeilen eines Gedichts, das am oberen Rand durch alle anderen Bilder gewebt war. Im Gegensatz zu den sonst bereits verblaßten Farben des uralten Kunstwerks verrieten jene Buchstaben, die mit ihren leuchtenden Farben deutlich hervorstanden, daß sie neueren Ursprungs waren. Hatte Kessell sie etwa hinzugefügt?
Nimm, wenn du möchtest,
An der Orgie teil,
Aber finde erst den Schlüssel
Gesehen und nicht gesehen,
Gewesen und doch nicht gewesen, Und ein Griff, den Fleisch nicht greifen kann.
Besonders eine Zeile rief Erinnerungen in ihm wach. Den Satz »Gewesen und doch nicht gewesen« hatte er in seiner Kindheit in Menzoberranzan gehört. Er bezog sich auf Urgutha Forka, einen bösartigen Tanar-Ri, der in uralten Zeiten, als Drizzts Vorfahren noch auf der Oberfläche gelebt hatten, den Planeten mit einer besonders schlimmen Plage verwüstet hatte. Die Lichtelfen hatten Urgutha Forkas Existenz stets bestritten und den Dunkelelfen die Schuld an der Plage zugeschrieben, aber die wußten es besser. Aufgrund ihrer besonderen körperlichen Eigenschaften waren sie gegen den Tanar-Ri unempfindlich, und nachdem sie erkannt hatten, wie verheerend sich das Fehlen dieser Eigenschaft bei ihren Feinden auswirkte, hatten sie es darauf angelegt, den Verdacht der Lichtelfen zu bestätigen und Urgutha als Verbündeten zu gewinnen.
Folglich war die Zeile »Gewesen und doch nicht gewesen« eine abschätzige Anspielung auf die lange Geschichte der Dunkelelfen, ein geheimer Witz über ihre verhaßten Vettern, von denen Tausende wegen einer Kreatur gestorben waren, deren Existenz sie leugneten.
Wer die Geschichte von Urgutha Forka nicht kannte, konnte das Rätsel unmöglich lösen. Der Dunkelelf hatte einen nützlichen Hinweis gefunden. Er durchforschte die Widerspiegelung des Wandteppichs nach einem Bild, das einen Bezug zu dem Tanar-Ri herstellte. Und er fand es am äußersten Rand des Spiegels in Gürtelhöhe: Ein Bildnis zeigte Urgutha in seiner schrecklichen Pracht. Der dargestellte Tanar-Ri zertrümmerte den Schädel eines Elfen mit seinem Symbol, einem schwarzen Stab. Drizzt hatte dieses Porträt vorher auch schon einmal gesehen. Nichts schien falsch zu sein oder deutete auf etwas Ungewöhnliches hin.
Die Trolle hatten die letzte Biegung der Treppe erreicht. Drizzt hatte kaum noch Zeit.
Er drehte sich um und suchte im Original nach einer Unstimmigkeit. Sie fiel ihm unverzüglich auf. Das Bild im Wandteppich zeigte Urgutha, wie er den Elfen mit der Faust erschlug. Ein Stab war gar nicht vorhanden!
»Gesehen und nicht gesehen.«
Drizzt wirbelte zu dem Spiegel herum und berührte die trügerische Waffe des Tanar-Ri. Aber er spürte nur das glatte Glas. Vor Enttäuschung schrie er fast auf.
Aber seine Erfahrungen hatten ihn Selbstbeherrschung gelehrt, und er gewann schnell die Fassung wieder. Er nahm die Hand vom Spiegel und versuchte, sich so hinzustellen, daß er im Spiegel an der Stelle zu sehen war, wo eigentlich der Stab sein mußte. Er schloß langsam die Finger und beobachtete
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