Die vergessenen Welten 05 - Der magische Stein
hatte.
»Wasser«, antwortete Wulfgar mürrisch.
»Und Wein«, fügte Drizzt schnell hinzu und reichte ihr ein Goldstück, um ihren plötzlich finsteren Gesichtsausdruck zu vertreiben.
»Das muß Deudermont sein«, sagte Wulfgar und lenkte von jeglicher Rüge über sein Verhalten dem Mädchen gegenüber ab. Er zeigte auf einen großen Mann, der über die Theke gebeugt dastand.
Drizzt erhob sich sofort, da er es für klüger hielt, ihre Angelegenheit hinter sich zu bringen und so schnell wie möglich die Taverne zu verlassen. »Bleib hier am Tisch«, sagte er zu Wulfgar.
Kapitän Deudermont war alles andere als der Durchschnittsgast der Meerjungfrau. Groß und aufrecht wie er war, war er ein vornehmer Mann, daran gewöhnt, mit Fürsten und Fürstinnen zu speisen. Aber wie es bei allen Schiffskapitänen der Fall war, die im Hafen von Tiefwasser anlegten, verbrachte Deudermont besonders am letzten Tag vor der Abreise die meiste Zeit an Land und hatte ein wachsames Auge auf seine wertvolle Mannschaft. Er versuchte zu verhindern, daß sie in Tiefwassers überfüllten Gefängnissen landeten.
Drizzt zwängte sich neben den Kapitän und tat den fragenden Blick des Barmanns mit einer Handbewegung ab. »Wir haben einen gemeinsamen Freund«, sprach Drizzt leise Deudermont an.
»Ich würde Orlpar kaum zu meinen Freunden zählen«, erwiderte der Kapitän lässig. »Aber ich sehe, daß er mit der Größe und Stärke deines jungen Freundes nicht übertrieben hat.«
* * *
Deudermont war nicht der einzige, der von Wulfgar Notiz genommen hatte. Wie in jeder anderen Taverne in diesem Teil von Tiefwasser — und in den meisten in den Welten — gab es in der Meerjungfrau einen berüchtigten Schläger. Etwas weiter entfernt an der Theke hatte ein massiger, ungeschlachter Kerl namens Bungo Wulfgar vom selben Augenblick an beobachtet, in dem der junge Barbar durch die Tür getreten war. Bungo gefiel Wulfgars Aussehen überhaupt nicht. Mehr als seine starken Muskeln offenbarten Wulfgars Gang und die Leichtigkeit, mit der er seinen großen Kriegshammer trug, einen Grad an Erfahrung, die über sein Alter hinausging.
Voller Vorfreude auf die Schlägerei scharten sich Bungos Anhänger um ihn. Ihr verzerrtes Grinsen und ihr biergeschwängerter Atem spornten ihren Meister zum Handeln an. Obwohl er normalerweise sehr selbstbewußt war, mußte Bungo mit sich ringen, seine Besorgnis unter Kontrolle zu halten. Während seiner siebenjährigen Herrschaft in der Taverne hatte er viele Schläge einstecken müssen. Seine Gestalt war jetzt gebeugt, und er hatte sich unzählige Knochen gebrochen und Muskeln zerrissen. Bei dem furchteinflößenden Anblick von Wulfgar fragte sich Bungo aufrichtig, ob er diesen Kampf vielleicht in seiner Jugend, als er noch gesünder war, gewonnen hätte.
Aber die Stammgäste in der Meerjungfrau sahen zu ihm auf. Dies war ihr Reich, und er war ihr Meister. Sie versorgten ihn mit Essen und Trinken — Bungo durfte sie nicht enttäuschen.
Er leerte seinen vollen Krug in einem Zug und stieß sich von der Theke ab. Mit einem letzten Knurren, das seine Anhänger beruhigen sollte, schubste Bungo gefühllos jeden Zuschauer zur Seite und ging auf Wulfgar zu.
Wulfgar hatte die Absicht der Gruppe erkannt, bevor sich diese überhaupt in Bewegung gesetzt hatte. Dieser Anblick war dem jungen Barbaren nur allzu vertraut. Er hatte auch schon damit gerechnet, daß man ihn wegen seiner Größe wieder aussuchen würde, so wie es im Entermesser in Luskan der Fall gewesen war.
»Was hast du hier zu suchen?« fragte Bungo mit einem Zischen, nachdem er sich mit den Händen in den Hüften vor dem sitzenden Barbaren aufgebaut hatte. Die anderen Grobiane breiteten sich um den Tisch herum aus und schlossen Wulfgar in einen Kreis ein.
Wulfgars Instinkte verlangten danach, er solle aufstehen und den anmaßenden Kerl dort, wo er stand, zu Boden schlagen. Um Bungos acht Freunde machte er sich keine Sorgen. Das waren lediglich Feiglinge, die ihren Anführer zum Ansporn brauchten. Wenn ein einziger Schlag Bungo zu Boden werfen würde — und Wulfgar wußte, daß dies kein Problem war —, dann würden die anderen zögern, bevor sie zuschlagen würden, und dieser Aufschub würde ihnen bei einem Mann wie Wulfgar teuer zu stehen kommen.
Aber in den vergangenen Monaten hatte Wulfgar gelernt, seinen Zorn zu mäßigen, und er hatte eine tiefere Einsicht über den Begriff der Ehre bekommen. Er zuckte mit den Achseln und vermied jede Bewegung, die
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