Die vergessenen Welten 08 - Nacht ohne Sterne
Drizzt.
Dantrag hob die Hand, als wolle er ihn schlagen, zügelte dann aber sein Temperament.
»Wir kämpfen, und Ihr tötet mich, und was wird dann Oberin Baenre sagen?« fragte Drizzt, der Dantrags Dilemma erkannte. Er war aus Gründen gefangengenommen worden, die wichtiger waren als die Befriedigung des Stolzes eines der Kinder von Baenre. Plötzlich wirkte alles wie ein Spiel - ein Spiel, das Drizzt bereits kannte. Als seine Schwester nach Mithril-Halle gekommen war, hatte es zu ihrem Handel mit ihrem Verbündeten gehört, daß sie Artemis Entreri gestattete, seinen persönlichen Kampf mit Drizzt auszutragen. Und der Meuchelmörder hatte ebenfalls keinen anderen Grund gehabt, als sich selbst zu beweisen, der Bessere zu sein.
»Der Ruhm meines Sieges wird jede Bestrafung überwiegen«, erwiderte Dantrag lässig, als glaube er tatsächlich an diese Behauptung. »Und vielleicht werde ich Euch nicht einmal töten. Vielleicht werde ich Euch verstümmeln und zu Euren Ketten zurückschleifen, damit Vendes mit ihrem Spiel fortfahren kann. Aus diesem Grund haben wir Euch den Trank gegeben. Ihr werdet geheilt, bis an die Schwelle des Todes gebracht und erneut geheilt. Das kann über hundert Jahre so weitergehen, wenn dies der Wille von Oberin Baenre ist.«
Drizzt erinnerte sich an den Charakter seines dunklen Volkes und bezweifelte diese Behauptung keine Sekunde. Er hatte Gerüchte über Adlige gehört, die in Kriegen zwischen zwei Häusern gefangengenommen worden waren und die Jahrhunderte als gefolterte Sklaven des siegreichen Hauses zugebracht hatten.
»Verlaßt Euch darauf, daß unser Kampf stattfinden wird, Drizzt Do'Urden«, sagte Dantrag. Er brachte sein Gesicht dicht vor Drizzts. »Sobald Ihr geheilt seid und Euch verteidigen könnt.« Schneller als Drizzts Augen folgen konnten, schossen Dantrags Hände hoch und schlugen ihn abwechselnd auf beide Wangen. Drizzt hatte nie zuvor eine solche Schnelligkeit gesehen, und er prägte sie sich gut ein, denn er befürchtete, daß er sie eines Tages unter gefährlicheren Umständen erneut erleben würde.
Dantrag drehte sich auf den Hacken herum und ging an Berg'inyon vorbei zur Tür. Der jüngere Baenre lachte den hängenden Gefangenen nur aus, spuckte Drizzt ins Gesicht und folgte dann seinem Bruder.
* * *
»Wie schön«, der Söldner grinste, während er mit seinen schlanken Fingern durch Catti-bries dicken Schöpf kastanienbrauner Haare fuhr.
Catti-brie blinzelte nicht; sie starrte im Dämmerlicht nur fest auf die unbestreitbar ansehnliche Gestalt. An diesem Drow war etwas anders. Sie glaubte nicht, daß er sich ihr aufzwingen würde. Tief unter Jarlaxles draufgängerischem Äußeren war ein Sinn für Ehre verborgen, der zwar seltsam verdreht war, aber trotzdem ebenso vorhanden war wie der von Artemis Entreri. Entreri hatte Catti-brie einst viele Tage lang gefangengehalten, aber er hatte sie niemals berührt, außer, um sie in die richtige Richtung zu treiben.
So war es auch mit Jarlaxle, glaubte Catti-brie - hoffte sie. Wenn der Söldner sie wirklich attraktiv fand, dann würde er sie wahrscheinlich umwerben und ihr den Hof machen. Zumindest eine Zeitlang.
»Und Euer Mut steht außer Frage«, fuhr Jarlaxle in seinem beunruhigend perfekten Oberflächendialekt fort. »Allein nach Menzoberranzan zu kommen!« Der Söldner schüttelte ungläubig den Kopf und blickte zu Entreri, der als einziger sonst noch in dem kleinen Raum anwesend war. »Selbst Artemis Entreri mußte überredet werden, hierherzukommen, und er würde zweifellos gern wieder verschwinden, wenn er den Weg kennen würde. Dies ist kein Ort für Bewohner der Oberfläche«, meinte Jarlaxle. Um seine Aussage zu bekräftigen, zuckte plötzlich seine Hand hoch und riß Catti-brie erneut das Katzenaugendiadem vom Kopf. Schwärze hüllte sie ein, die noch tiefer war als die Nächte in Bruenors tiefsten Minen, und sie mußte schwer damit kämpfen, nicht von einer Welle der Panik überwältigt zu werden.
Jarlaxle war direkt vor ihr. Sie konnte ihn spüren und fühlte seinen Atem, aber alles, was sie sah, waren seine rotleuchtenden Augen, die sie im infraroten Bereich beobachteten. Auf der anderen Seite des Raumes leuchteten Entreris Augen auf dieselbe Weise, obwohl Catti-brie nicht verstand, wie er als Mensch diese Fähigkeit erlangt hatte.
Sie wünschte sich innig, sie auch zu besitzen. Die Dunkelheit hielt sie gefangen und drohte sie zu verschlucken. Ihre Haut war auf einmal überempfindlich; all ihre Sinne
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