Die Vergessenen Welten 10 - Die Küste Der Schwerter
ihrem Grauen fuhr ihre Hand durch die plötzlich nicht mehr greifbare Gestalt hindurch.
»Das ist jetzt unwichtig!« herrschte Harkle sie an. »Denk nach, Drizzt Do'Urden. Welcher Feind ist es, der nie vergeben wird, der im Abgrund verfault und dich über alles haßt? Welche Bestie muß befreit werden, die nur du befreien kannst?« Harkles Stimme schien zu verklingen, als seine Gestalt zu verblassen begann.
»Ich habe die Grenzen meines Zaubers überschritten«, wollte der Zauberer seinen erschreckten Gefährten erklären. »Und so bin ich jetzt aus dem Spiel, ich muß fort...«
Unerwartet kam Harkles Stimme laut zurück. »Welche Bestie, Drizzt. Welcher Feind?« Und dann war er fort, einfach verschwunden, und ließ Drizzt und Catti-brie zurück, die in dem kleinen Raum ins Leere starrten.
Jener letzte Ruf, als Harkle aus ihrem Blick verschwand, erinnerte Drizzt an eine andere Gelegenheit, als er einen solchen fernen Ruf gehört hatte.
»Errtu«, flüsterte der Drow atemlos. Er schüttelte den Kopf, noch während er die so offensichtliche Antwort aussprach, denn obgleich Harkles Gedankengang logisch erschien, ergab er für Drizzt im Zusammenhang mit dem Gedicht keinen Sinn.
»Errtu«, wiederholte Catti-brie. »Der haßt dich ganz gewiß mehr als jeder andere, und Lloth kennt ihn bestimmt, oder weiß zumindest von ihm.«
Drizzt schüttelte den Kopf. »Das kann nicht sein, denn ich bin dem Tanar'ri niemals in Menzoberranzan begegnet, wie die blinde Seherin behauptet hat.«
Darüber dachte Catti-brie einen Moment lang nach. »Sie hat niemals Menzoberranzan gesagt«, erwiderte die Frau. »Nicht ein einziges Mal.«
»In der ersten Heimat.. .« begann Drizzt zu zitieren, aber er verschluckte sich beinahe an den Worten, als ihm die plötzliche Erkenntnis kam, daß seine bisherige Interpretation tatsächlich nicht zutreffen mochte.
Auch Catti-brie bemerkte das. »Du hast jenen Ort niemals deine Heimat genannt«, sagte sie. »Und hast mir oft gesagt, daß deine erste Heimat...«
»Das Eiswindtal war«, ergänzte Drizzt.
»Und dort war es, wo du Errtu begegnet bist und ihn dir zum Feind gemacht hast«, argumentierte Catti-brie. In diesem Moment erschien ihr Harkle Harpell wirklich wie ein kluger Mann.
Drizzt zuckte zusammen, da er sich gut an die Macht und die Verschlagenheit des bösen Balors erinnerte. Der Gedanke, daß sich Zaknafein in Errtus Klauen befinden mochte, schmerzte den Waldläufer zutiefst.
* * *
Harkle Harpell hob den Kopf von seinem riesigen Schreibtisch und streckte sich mit einem gewaltigen Gähnen.
»O ja«, sagte er, als ihm der Stapel Pergamente ins Auge fiel, die auf dem Tisch vor ihm ausgebreitet waren. »Ich habe an meinem Zauber gearbeitet.«
Harkle sortierte die Pergamente und studierte sie eingehender.
»Mein neuer Zauber!« rief er glücklich aus. »Oh, er ist fertig, der Nebel des Schicksals ist endlich fertig! O wie schön, was für ein schöner Tag!« Der Zauberer sprang von seinem Stuhl auf und hüpfte mit wehender Robe durch den ganzen Raum. Nach so vielen Monaten intensiver Forschungen war sein neuer Zauber endlich vollendet. In seinem Kopf überschlugen sich die Möglichkeiten. Vielleicht würde ihn der Nebel des Schicksals nach Calimshan zu einem Abenteuer mit dem Pascha bringen, vielleicht zur Anauroch, in die große Wüste, oder vielleicht auch in die Ödnis von Vaasa. Ja, er würde gern nach Vaasa und zu dem zerklüfteten Galena-Gebirge gehen.
»Ich werde mehr über Galena lernen müssen und fest daran denken, wenn ich den Zauber wirke«, sagte er zu sich selbst. »Ja, ja, darin besteht der Trick.« Mit einem Fingerschnippen eilte der Zauberer zum Schreibtisch zurück, sortierte die vielen Pergamente des langen und komplizierten Zauberspruches und legte sie in eine Schublade. Dann stürmte er hinaus und eilte zur Bibliothek des Efeu-Herrenhauses, um Informationen über Vaasa und das benachbarte Damara zu sammeln, die berühmten Blutsteinlande. Er konnte kaum das Gleichgewicht halten, so aufgeregt war er über das, was er für die erste Erprobung des neuen Zaubers hielt, das Ergebnis der Arbeit vieler Monate.
Denn Harkle hatte keine Erinnerung an das wirkliche erste Mal, daß er den Zauber gewirkt hatte. Die ganzen letzten Wochen waren aus seinem Gedächtnis gelöscht, ebenso wie die Seiten des verzauberten Journals, das zu dem Zauber gehörte, wieder leer waren. Soweit Harkle wußte, segelten Drizzt und Catti-brie vor der Schwertküste auf einem Piratenjäger,
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