Die Vergessenen Welten 12 - Schattenzeit
war.« »Die Frau hat viel durchlitten«, konterte Temigast. »Vielleicht kann sie die Wahrheit nicht ertragen.« »Oder sie hat einfach die Wahrheit gesagt.«
»Nein«, sagte Temigast ohne zu zögern und schüttelte den Kopf. »Liam hat dich zweifelsfrei erkannt und sich sicher nicht geirrt.« Wulfgar schnaubte erneut. »Streitest du ab, dass du der Räuber warst, der die Kutsche umgeworfen hat?«, fragte Temigast.
Wulfgar starrte ihn ohne zu blinzeln an, aber sein Gesichtsausdruck verriet, dass er dies nicht leugnen konnte.
»Das alleine würde dich schon deine Hände kosten und dir so viele Jahre im Kerker eintragen, wie Lord Feringal für angemessen hält«, erklärte Temigast. »Es könnte sogar bereits genügen, dir das Leben zu nehmen.«
»Euer Kutscher Liam wurde verletzt«, erwiderte Wulfgar knurrend. »Durch einen Unfall. Ich hätte ihn sterbend auf der Straße liegen lassen können. Das Mädchen war völlig unverletzt.«
»Warum sollte sie dann etwas anderes behaupten?«, fragte Temigast ruhig.
»Hat sie das?«, hakte Wulfgar nach und neigte interessiert den Kopf zur Seite. Allmählich begriff er und begann zu verstehen, warum der junge Lord so völlig außer sich war. Zunächst hatte er angenommen, dass verletzter Stolz der Grund war – schließlich hatte es der Mann nicht vermocht, seine Gattin zu beschützen –, aber jetzt begann Wulfgar zu vermuten, dass etwas tiefer Gehendes dahinter steckte, ein berechtigter Zorn. Er erinnerte sich, dass Lord Feringals erste Worte eine Drohung gewesen waren, den Barbaren zu kastrieren.
»Ich hoffe, Lord Feringal hat einen besonders unangenehmen Tod für dich vorbereitet, Barbar«, sagte Temigast. »Du kannst dir nicht vorstellen, welchen Schmerz du ihm bereitet hast, und auch der Herrin Meralda und den guten Leuten von Auckney. Du bist ein Schurke und ein Hund, und wenn du stirbst, wird damit der Gerechtigkeit Genüge getan, ob es nun bei einer öffentlichen Hinrichtung geschieht oder hier unten allein im Schmutz.«
»Bist du nur hier heruntergekommen, um mir diese Neuigkeiten mitzuteilen?«, fragte Wulfgar sarkastisch. Temigast schlug ihm mit der brennenden Fackel gegen die Hand und zwang Wulfgar, den Arm zurückzuziehen.
Dann drehte sich der alte Mann um und stürmte davon. Wulfgar blieb allein im Dunkeln und mit ein paar sehr seltsamen Gedanken zurück, die ihm durch den Kopf schwirrten.
Trotz seines letzten Ausbruchs und seinem echten Ärger war Temigast sich über nichts klar geworden, als er den Kerker verließ. Er war wegen Meraldas Reaktion im Audienzsaal zu dem Barbaren gegangen – weil er die Wahrheit erfahren musste. Diese Wahrheit erschien ihm jetzt jedoch noch viel verschwommener als zuvor. Warum wollte Meralda den Barbaren nicht identifizieren, obwohl sie ihn eindeutig erkannt hatte? Warum konnte sie es nicht? Der Mann war wirklich eindrucksvoll mit seiner Größe und Schultern, die so breit waren wie die eines jungen Riesen.
Priscilla hatte Unrecht, so viel stand für Temigast fest, denn sie glaubte, Meralda hätte die Vergewaltigung genossen. »Lächerlich«, murmelte der Verwalter vor sich hin und sprach seine Gedanken aus, um einen Sinn hineinzubringen. »Absolut und vollkommen lächerlich. Aber würde Meralda ihren Vergewaltiger beschützen?«, fragte er sich ruhig.
Die Antwort traf ihn mit der gleichen Klarheit wie das Bild eines idiotischen jungen Mannes, der von einer Klippe stürzte.
Der gute Lord Brandeburg
»Ich hasse Zauberer«, murmelte Morik, als er sich aus dem Geröll des Bergrutsches herausarbeitete. Sein ganzer Körper war von Prellungen und Schnitten übersät. »Das war kein wirklich fairer Kampf. Ich muss diese Sache mit den Zaubersprüchen lernen!« Der Ganove verbrachte eine lange Zeit damit, die Umgebung abzusuchen, konnte Wulfgar aber nirgends entdecken. Morik fand es ein wenig seltsam, dass der Zauberer gerade Wulfgar mitgenommen hatte. Wahrscheinlich hielt er den Barbaren für den gefährlicheren und wahrscheinlich für den Anführer. Aber es war Morik und nicht Wulfgar gewesen, der versucht hatte, sich an der Dame in der Kutsche zu vergehen. Wulfgar war es gewesen, der darauf beharrt hatte, sie gehen zu lassen, und zwar rasch genug, um den Kutscher zu retten. Offensichtlich war der Zauberer nicht besonders gut informiert gewesen.
Wo sollte Morik sich jetzt also hinwenden? Als Erstes ging er in die Höhle zurück, um seine Wunden zu versorgen und Vorräte zu packen, die er unterwegs brauchte. Er wollte nicht
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