Die Vergessenen Welten 12 - Schattenzeit
sich der Straße zuwandte, spürte er eine Dolchspitze an der Kehle.
»Es ist bereits zu Ende«, erklärte Morik im Plauderton, obgleich seine Gelassenheit dadurch getrübt wurde, dass er einen raschen Blick zurück in die Schankstube warf, wo der dünne Zauberer seine Sachen zusammenpackte, ohne dass ihn das Geschehen an der Tür irgendwie zu berühren schien. Da der Zauberer anscheinend kein persönliches Interesse an dem Kampf hatte, beruhigte sich der Ganove ein wenig und murmelte »Ich hasse Zauberer« vor sich hin. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Reef und drückte den Dolch fester gegen seine Kehle.
Reef schaute seinen Begleiter an, der Wulfgars anderen Arm hielt, und gleichzeitig warfen sie den Barbaren ohne Kommentar zu Boden.
Wulfgar kam wieder auf die Füße, obwohl er noch sehr benommen war. Er wandte sich der geschlossenen Tür zu, doch Morik war dort und packte ihn am Arm.
»Nicht«, sagte der Ganove. »Sie wollen dich da drinnen nicht. Was willst du denn beweisen?«
Wulfgar setzte zu einer Antwort an, doch er schaute Morik in die Augen und erkannte, dass jede Diskussion zwecklos war. Er wusste, dass der Ganove Recht hatte. Er wusste, dass er kein Zuhause hatte.
Das Leben einer Dame
»Ganderlay«, verkündete Temigast, als er in den Raum trat, um sich zu Priscilla und Feringal zu gesellen. Beide schauten den Verwalter neugierig und verständnislos an. »Die Frau, die du gesehen hast, mein Lord Feringal«, erklärte Temigast. »Ihre Familie heißt Ganderlay.«
»Ich kenne keine Ganderlays in Auckney«, wandte Priscilla ein.
»Es gibt nur wenige Familien, deren Namen dir nicht geläufig sind, teure Herrin«, erwiderte Temigast in recht trockenem Tonfall, »doch diese Frau ist wirklich eine Ganderlay. Sie lebt mit ihrer Familie am Südhang des Maerlon«, erläuterte er und bezog sich damit auf eine verhältnismäßig dicht besiedelte Region von Auckney, die etwa zwei Meilen von der Burg entfernt war und sich einen terrassenartigen Berghang gegenüber dem Hafen emporzog.
»Mädchen«, berichtigte Priscilla herablassend. »Sie ist weit davon entfernt, Frau genannt werden zu können.«
Feringal schien diesen Kommentar nicht einmal gehört zu haben; die Neuigkeiten des Verwalters hatten ihn zu sehr erregt. »Bist du sicher?«, fragte er Temigast, sprang auf und lief eifrig zu dem Mann hinüber. »Kann das sein?«
»Das Mäd…, die Frau ging zur selben Zeit auf der Straße, als eure Kutsche dort entlangfuhr«, bestätigte der Verwalter. »Sie passt auf die Beschreibung von mehreren Leuten, die sie kennen und zur besagten Zeit auf der Straße gesehen haben. Sie alle erwähnten ihr auffallend langes, schwarzes Haar, das zu deiner eigenen Beschreibung von ihr passt, mein Lord. Ich bin sicher, dass sie die älteste Tochter eines gewissen Dohni Ganderlay ist.«
»Ich werde zu ihr gehen«, verkündete Feringal, während er aufgeregt hin und her schritt und sich dabei mit einem Finger gegen die Zähne tippte, als wüsste er nicht, wo er hingehen und was er tun sollte. »Ich werde die Kutsche rufen.«
»Mein Lord Feringal«, sagte Temigast in einem befehlenden Tonfall, der den eifrigen jungen Mann wieder zu sich zu bringen schien. »Das wäre äußerst unangebracht.«
Feringal starrte ihn mit großen Augen an. »Aber warum?«
»Weil sie eine Bäuerin ist und nicht würdig …«, setzte Priscilla an, brach aber ab, als sie merkte, dass niemand zuhörte.
»Man kommt nicht unangemeldet zum Haus einer wahren Dame«, erklärte Temigast. »Der Weg muss erst von deinem Verwalter und ihrem Vater bereitet werden.«
»Aber ich bin der Lord von Auckney«, protestierte Feringal. »Ich kann…«
»Du kannst tun, was du willst, solange du nur deinen Spaß mit ihr haben willst«, unterbrach Temigast ihn rasch und sorgte damit sowohl bei Feringal als auch bei Priscilla für ein Stirnrunzeln. »Wenn du sie jedoch wirklich als Ehefrau begehrst, müssen die Dinge angemessen arrangiert werden. Es gibt eine Vorgehensweise, von der erwartet wird, dass wir ihr alle folgen, mein Lord Feringal. Es könnte sich als fatal erweisen, wenn wir in dieser Angelegenheit gegen die Sitten verstoßen, das kann ich dir versichern.« »Ich verstehe nicht.«
»Natürlich tust du das nicht«, sagte Temigast, »aber glücklicherweise tue ich es. Geh jetzt und nimm ein Bad. Wenn die junge Ganderlay in Windrichtung von dir stünde, würde sie davonlaufen.« Mit diesen Worten drehte er Lord Feringal in Richtung der Tür und gab
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