Die Vergessenen Welten 12 - Schattenzeit
die Anhöhe hinter dem Torffeld. Er schaute jene, die gerufen hatten, fragend an, doch sie deuteten bloß mit dem Kinn in Richtung seines Hauses. Dohni folgte der Bewegung, entdeckte die Kutsche und begann zu laufen.
Jaka Sculi schaute ihm den ganzen Weg bis zum Haus nach.
»Hast du vor, vielleicht auch noch ein wenig zu graben?«, erklang neben Jaka eine Frage. Als er sich umdrehte, um den zahnlosen alten Mann zu mustern, fuhr der Trottel mit der Hand durch Jakas lockiges braunes Haar.
Der junge Mann schüttelte angewidert den Kopf, als er den schwarzen Torf bemerkte, der die Finger des alten Gräbers bedeckte.
Er schüttelte erneut den Kopf und fuhr sich heftig durch die Haare. Als der Alte erneut nach ihm griff, schlug er die Hand beiseite. »Hi hi hi«, kicherte der alte Mann. »Scheint, dass dein kleines Mädel einen Besucher hat«, feixte er.
»Und einen alten zudem«, warf ein anderer ein, der nur zu gern bereit war, das Spiel auf Kosten von Jaka mitzumachen.
»Aber ich glaube, ich sollte selbst mal mein Glück bei dem Mädchen versuchen«, meinte der dreckige alte Kerl neben Jaka. Das sorgte für ein finsteres Stirnrunzeln bei dem jungen Mann, und so lachte der Alte nur umso lauter darüber, dass er dem Jungen endlich eine Reaktion entlockt hatte.
Jaka drehte langsam den Kopf und ließ den Blick erst über das Feld und die Arbeiter schweifen, dann zu den paar Häusern, die verstreut am Hang standen, zu Burg Auck in der Ferne und dem dunklen, kalten Meer, das dahinter lag. Dieses Meer hatte ihn, seine Mutter und seinen Onkel erst vor vier Jahren zu diesem einsamen Ort gebracht. Jaka wusste nicht, warum sie nach Auckney gekommen waren – er war mit seinem Leben in Luskan sehr zufrieden gewesen –, nur, dass es etwas mit seinem Vater zu tun hatte, der seine Mutter rücksichtslos geschlagen hatte. Er vermutete, dass sie davongelaufen waren, entweder vor dem Mann oder vor dem Henker. Dies schien eine typische Taktik für die Familie Sculi zu sein, denn sie hatten bereits das Gleiche getan, als Jaka noch ein Baby gewesen war. Damals waren sie aus ihrer angestammten Heimat in den Klingenreichen den ganzen Weg bis nach Luskan geflohen. Sein Vater, der tatsächlich ein brutaler Mann war und den Jaka kaum kannte, würde mit Sicherheit nach ihnen suchen und seine Mutter und seinen Onkel dafür töten, dass sie davongelaufen waren. Oder vielleicht war Jakas Vater auch bereits tot, von Rempini, Jakas Onkel, in seinem eigenen Blut zurückgelassen.
Wie dem auch sein mochte, es war Jaka egal. Er wusste nur, dass er sich an diesem Ort befand, in einer schrecklichen, windigen, kalten und öden Region. Bis vor kurzem war es ihm so vorgekommen, als sei das einzig Gute an der ganzen Sache, dass die nie versiegende Melancholie des Ortes seine poetische Ader verstärkte. Obgleich er sich selbst ein wenig als ein romantischer Held sah, war bereits sein siebzehnter Geburtstag verstrichen, und er hatte schon oft mit dem Gedanken gespielt, sich einem der wenigen Händler anzuschließen, die gelegentlich hier durchkamen. Er könnte mit ihnen in die weite Welt hinausziehen, vielleicht zurück nach Luskan oder, besser noch, bis hin zum mächtigen Tiefwasser. Er hatte vor, dort irgendwann und irgendwie sein Glück zu machen und vielleicht bis zurück zu den Klingenreichen zu reisen.
Doch all diese Pläne waren aufgeschoben worden, als sich dem jungen Mann ein weiterer positiver Aspekt von Auckney enthüllt hatte. Jaka konnte die Zuneigung nicht verleugnen, die er für ein gewisses Ganderlay-Mädchen verspürte.
Natürlich konnte er das weder sie noch irgendjemand anderen wissen lassen, bevor er sich nicht sicher war, dass sie sich ihm vollständig hingeben würde.
Als er an der Kutsche vorbeieilte, erkannte Dohni Ganderlay den Kutscher, einen graubärtigen Gnom, den er als Liam Holztor kannte. Liam lächelte und nickte ihm zu, woraufhin sich Dohni deutlich entspannte, obgleich er sein rasches Tempo bis zur Haustür beibehielt. An seinem kleinen Küchentisch saß der Verwalter von Burg Auck. Ihm gegenüber befand sich Dohnis kranke Frau Biaste, die der Torfbauer seit langer Zeit nicht mehr mit einem so strahlenden Gesichtsausdruck gesehen hatte.
»Meister Ganderlay«, sagte Temigast höflich. »Ich bin Temigast, der Verwalter von Burg Auck und der Gesandte von Lord Feringal.« »Das weiß ich«, sagte Dohni vorsichtig. Ohne die Augen auch nur einen Augenblick von dem alten Mann zu lösen, ging der Bauer um den Tisch herum und
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