Die Vergessenen Welten 12 - Schattenzeit
hausen. Die Freiheit, alles auszuprobieren oder einfach gar nichts zu tun. Nur wenige würden die Sehnsucht nach Freiheit abstreiten. Jeder, den ich kennen gelernt habe, verlangt nach freiem Willen oder glaubt dies zumindest. Wie seltsam ist es da, dass so viele sich weigern, den unabdinglichen Preis der Freiheit zu akzeptieren: Verantwortlichkeit.
Eine ideale Gemeinschaft würde deshalb reibungslos funktionieren, weil ihre einzelnen Mitglieder ihre Verantwortung für das Wohlergehen jedes anderen und der gesamten Gruppe akzeptieren, und zwar nicht, weil sie dazu gezwungen werden, es zu tun, sondern weil sie diese Notwendigkeit einsehen und das Gute erkennen, das daraus entspringt. Denn tatsächlich hat jede Entscheidung, die wir treffen, alles, was wir tun oder lassen, Konsequenzen. Diese Konsequenzen sind, fürchte ich, nicht sehr offenkundig. Ein selbstsüchtiger Mensch mag glauben, dass er mit seiner Philosophie am besten fährt, doch in Zeiten, da er seine Freunde am meisten braucht, werden diese wahrscheinlich nicht für ihn da sein, und am Ende, in dem Vermächtnis, das diese selbstsüchtige Person hinterlässt, wird man seiner nicht mit Wohlwollen gedenken, wenn überhaupt. Die Gier einer selbstsüchtigen Person mag ihr materiellen Luxus bringen, doch sie kann ihr keine der wahren Freuden bringen, nichts von der nicht fassbaren Befriedigung der Liebe.
Ebenso ist es mit dem hasserfüllten Menschen, dem Trägen, dem Neidischen, dem Dieb und dem Raufbold, dem Säufer und dem Verleumder. Freiheit erlaubt jedem das Recht, sein eigenes Leben zu wählen, aber sie verlangt auch, dass diese Person die Verantwortung für ihre Wahl übernimmt, ob sie nun zu Gutem oder Schlechtem führt.
Ich habe oft von Leuten gehört, die zu sterben glaubten und vor deren Augen noch einmal ihr ganzes Leben vorbeizog, selbst lang vergessene Ereignisse, die tief in ihrer Erinnerung vergraben waren. Ich glaube, dass wir in diesen letzten Sekunden unserer Existenz, bevor wir in die Mysterien dessen eintreten, was danach kommen mag, den Segen oder den Fluch erhalten, all unsere Entscheidungen noch einmal zu betrachten. Wir sehen sie dann entblößt aller Verwirrtheit, die wir verspürt haben mochten, als wir sie fällten, ohne den Trott des täglichen Lebens, ohne alles verwischende Rechtfertigungen oder die Möglichkeit, leere Versprechungen abzugeben, alles wieder gut zu machen.
Wie viele Priester, frage ich mich, würden diesen entblößtesten aller Augenblicke in ihre Beschreibung von Himmel und Hölle mit aufnehmen?
Drizzt Do'Urden
Abschied von einem alten Freund
Der große Mann war nur einen Schritt entfernt. Josi Puddles sah ihn zu spät kommen. Der feige kleine Mann drückte sich gegen die Wand und versuchte sich zu verbergen, doch Wulfgar hatte ihn im Nu gepackt, hob ihn mit einer Hand in die Luft und wehrte mit der anderen beiläufig Josis schwache Versuche ab, nach ihm zu schlagen. Dann krachte Josi geräuschvoll gegen die Wand.
»Ich will ihn wiederhaben«, sagte der Barbar mit ruhiger Stimme. Für den armen Josi war das Maß an Ernsthaftigkeit in Wulfgars Stimme und seinem Gesichtsausdruck vielleicht das Furcht Erregendste an der ganzen Sache.
»Wo-wo-wonach su-suchst du?«, stotterte der kleine Mann als Erwiderung.
Wulfgar zog Josi, noch immer nur mit einem Arm, zu sich heran und rammte ihn dann erneut gegen die Wand. »Du weißt, was ich meine«, sagte er, »und ich weiß, dass du ihn genommen hast.« Josi zuckte mit den Achseln und schüttelte den Kopf, was ihm einen neuen Aufprall an der Wand einbrachte.
»Du hast Aegisfang genommen«, verdeutlichte Wulfgar und brachte sein finster blickendes Gesicht dicht vor das von Josi. »Und wenn du ihn mir nicht zurückgibst, werde ich dich auseinander reißen und mir aus deinen Knochen eine neue Waffe fertigen.« »Ich … ich … habe ihn geborgt…«, setzte Josi an, doch sein Gestammel wurde von einem neuen Aufprall an der Wand unterbrochen. »Ich glaubte, du würdest Arumn töten!«, schrie der kleine Mann. »Ich dachte, du würdest uns alle töten!«
Bei diesen seltsamen Worten kühlte Wulfgar ein wenig ab. »Arumn töten?«, wiederholte er ungläubig.
»Als er dich rauswarf«, erklärte Josi. »Ich wusste, er würde dich rauswerfen. Das hat er mir erzählt, während du geschlafen hast. Ich dachte, du würdest ihn in deiner Wut umbringen.«
»Also hast du meinen Kriegshammer weggenommen?«
»Das habe ich«, gestand Josi, »aber ich wollte ihn zurückholen. Ich
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