Die Vergessenen Welten 12 - Schattenzeit
»Erzähle mir deine Gedanken«, drängte er begierig.
Die Frau zuckte mit den Achseln. »Es waren nur Albernheiten«, entgegnete sie.
Das Gesicht von Lord Feringal hellte sich zu einem breiten Lächeln auf. »Ich glaube, du hast daran gedacht, wie schön es wäre, jeden Tag zwischen diesen Blumen zu wandeln«, vermutete er. »An diesen Ort zu kommen, wann immer es dich danach verlangt, am Tag oder im Mondschein, selbst im Winter, das kalte Meer zu betrachten und die Eisberge, die aus dem Norden herantreiben.«
Meralda war zu klug, um seine Vermutung offen zu bestreiten oder hinzuzufügen, dass sie von solchen Dingen nur träumen würde, wenn ein anderer Mann, ihr Jaka, statt des Lords an ihrer Seite wäre. »Und du kannst dies alles haben«, sagte Feringal erregt. »Das kannst du wirklich. Dies alles, und noch viel mehr.«
»Du kennst mich doch kaum«, rief das Mädchen aus, das kurz vor einer Panik stand und kaum glauben konnte, was sie da hörte. »O doch, meine Meralda«, verkündete Feringal, fiel auf ein Knie, hielt ihre Hand in der seinen und streichelte sie sanft mit der anderen. »Ich kenne dich, denn ich habe mein ganzes Leben nach dir gesucht.«
»Du redest Unsinn«, murmelte Meralda, aber Feringal sprach weiter.
»Ich habe mich gefragt, ob ich je die Frau finden würde, die mir das Herz stehlen könnte«, sagte er, und Meralda kam es so vor, als spräche er ebenso sehr zu sich selbst wie zu ihr. »Es hat natürlich andere gegeben, die sich mir präsentiert haben. Viele Händler haben sich gewünscht, einen sicheren Stützpunkt in Auckney zu errichten, indem sie mir ihre Töchter als Ehefrauen verschachern wollten, doch keine von ihnen erregte mein Interesse.« Er stand in einer dramatischen Geste auf und trat an die zum Meer gewandte Mauer. »Keine«, wiederholte er. Feringal drehte sich um, und seine Augen bohrten sich in ihre. »Bis ich den ersten Blick auf Meralda warf. Mein Herz sagt mir, dass es keine andere Frau auf der Welt gibt, die ich mir zur Frau wünschen würde.«
Meralda war von der Direktheit des Mannes wie benommen, von der Geschwindigkeit, mit der er seine Werbung voranzutreiben suchte. Noch während sie dastand und fieberhaft nach einer Entgegnung suchte, umarmte er sie und küsste sie wieder und wieder. Diesmal war er nicht sanft, sondern presste seine Lippen heftig auf die ihren und strich ihr mit den Händen den Rücken entlang.
»Ich muss dich haben«, sagte er und riss sie dabei fast um.
Meralda hob den Arm und schlug ihm hart ins Gesicht, so dass er einen Schritt zurückgetrieben wurde. Sie trat zurück, doch er drängte erneut vor.
»Bitte, Meralda!«, rief er. »Das Blut kocht in meinen Adern!«
»Du sagst, du willst mich zur Frau, aber du behandelst mich wie eine Hure!«, rief sie. »Kein Mann nimmt sich ein Weib, mit dem er vorher schon geschlafen hat«, betonte sie.
Lord Feringal hielt inne. »Aber warum?«, fragte der naive junge Mann. »Es ist schließlich Liebe, und damit ist doch alles in Ordnung, denke ich. Mein Blut kocht, und mein Herz pocht vor Verlangen nach dir.«
Meralda suchte verzweifelt nach Rettung und erhielt sie von einer unerwarteten Seite.
»Ich bitte um Entschuldigung,! mein Lord«, erklang eine Stimme von der Tür, und als das Paar sich umdrehte, trat Verwalter Temigast aus der Burg. »Ich hörte laute Stimmen und fürchtete, einer von euch wäre über die Brüstung gefallen.«
»Nun, du siehst, dass das nicht der Fall ist, also geh wieder«, erwiderte ein verärgerter Feringal, winkte Temigast fort und wandte sich wieder Meralda zu.
Verwalter Temigast betrachtete das verängstigte, kalkweiße Gesicht mit einem Blick, in dem viel Mitgefühl lag. »Mein Lord«, wagte er schließlich mit ruhiger Stimme zu sagen. »Wenn es dir wirklich ernst damit ist, diese Frau zu heiraten, dann musst du sie wie eine Dame behandeln. Es ist schon spät«, verkündete er. »Die Familie Ganderlay wird auf die Rückkehr ihres Kindes warten. Ich werde die Kutsche vorfahren lassen.«
»Noch nicht«, entgegnete Lord Feringal sofort, bevor sich Temigast auch nur umdrehen konnte. »Bitte«, sagte er leiser und ruhiger zu Temigast, vor allem aber zu Meralda. »Nur noch eine kleine Weile?«
Temigast blickte zu Meralda, die mit einem zögerlichen Nicken ihre Zustimmung signalisierte. »Ich werde in Kürze zu euch zurückkehren«, sagte der Verwalter und verschwand wieder in der Burg.
»Ich werde keine Torheiten mehr von dir dulden«, warnte Meralda mutig ihren
Weitere Kostenlose Bücher