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Die Vergessenen Welten 16 - Die Drachen der Blutsteinlande

Titel: Die Vergessenen Welten 16 - Die Drachen der Blutsteinlande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R.A. Salvatore
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Mauerweg hieß, weil sie so nahe an die hohe Verteidigungsmauer der Stadt heranführte. Die Ladenbesitzerin sah recht unauffällig aus und kleidete sich schlicht. Ihr Haar zeigte noch ein wenig von seinem früheren rötlich blonden Schimmer, aber überwiegend war es grau, und ihre Schultern wirkten ein wenig zu breit für ihren eher kleinen Kopf. Sie hatte immer ein freundliches Wort für die anderen Kaufleute und stets ein entwaffnendes Lächeln auf den Lippen, und falls sie je einen Kunden ausgenommen hatte, hatte derjenige sich zumindest nicht beschwert.
    Zu diesem eher unauffälligen Aussehen passte, dass Tazmikella auch keine Kutsche besaß, die sie nach Hause brachte. Sie ging jeden Abend zu Fuß, verließ die Stadt auf dem gleichen Weg und marschierte zu einer unauffälligen Hütte am Hang eines kleinen Hügels.
    Die Frau, die gerade »Ilnezharas Goldmünzen« auf der gegenüberliegenden Straßenseite verließ, hätte keinen größeren Kontrast bieten können. Sie war hochgewachsen und schlank, hielt sich sehr aufrecht und hatte dichtes, kupferrotes Haar und riesige blaue Augen. Ihre Kleidung bestand aus den besten Stoffen und war hervorragend gearbeitet, und eine schöne Kutsche mit einem Gespann glänzend gestriegelter Pferde erwartete sie.
    »Kann ich Euch vielleicht mitnehmen, meine Liebe?«, fragte Ilnezhara Tazmikella, wie sie es jeden Abend tat – sehr zur Erheiterung der anderen Ladenbesitzer, die häufig über die beiden und ihre Rivalität flüsterten und lachten.
    »Meine Beine erfüllen durchaus ihren Zweck«, erwiderte Tazmikella wie stets.
    »Nicht wenigstens bis zum Stadttor?«, fuhr Ilnezhara fort, aber Tazmikella winkte nur ab und ging weiter, wie sie es jeden Abend tat.
    Wer an diesem Abend genauer hingesehen hätte, hätte allerdings vielleicht etwas Ungewöhnliches bemerkt, denn als Tazmikella an Ilnezharas Kutsche vorbeikam, drehte sie leicht den Kopf und nickte der hochgewachsenen Frau kaum merklich zu, und sie erhielt ein gleichermaßen unauffälliges Nicken zur Antwort.
    Tazmikella hatte kurz darauf die Stadt hinter sich gelassen und ging von der von Fackeln beleuchteten Mauer aus auf den einsamen Hügel zu, an dem ihr bescheidenes Heim stand. Am Fuß dieses Hügels, wo es beinahe vollkommen dunkel war, sah sie sich um und überzeugte sich davon, dass sie allein war. Sie marschierte weiter zu einer weiten Lichtung hinter einer Reihe dichter Kiefern, die einen guten Sichtschutz bildeten. In der Mitte der Lichtung schloss sie die Augen und zog sich aus. Tazmikella hasste es, Kleidung zu tragen, und hatte nie verstehen können, wieso die Menschen das Bedürfnis empfanden, ihre natürliche Gestalt zu verbergen. Sie hatte dieses Ausmaß an Schamgefühl und Sittsamkeit immer für bezeichnend für ein Volk gehalten, das sich nicht über seine offensichtlichen Einschränkungen hinwegsetzen konnte, ein Volk, das darauf bestand, sich mächtigeren Wesen zu unterwerfen, als sich in stolzer Entschlossenheit selbst als Götter zu betrachten.
    Sie kannte keine solche Zurückhaltung. Bald schon war sie nackt in dieser unnatürlichen Gestalt und genoss den Abendwind auf ihrem Körper. Die Veränderung begann subtil, denn sie hatte die Kunst der Transformation schon lange vervollkommnet. Als Erstes begannen ihre Flügel und ihr Schwanz zu wachsen, denn das waren die am wenigsten schmerzhaften Teile – Hinzufügungen waren immer einfacher als Verwandlungen, bei denen Knochen gebrochen und neu geformt werden mussten.
    Die Bäume rings um sie her schienen zu schrumpfen. Tazmikellas Perspektive veränderte sich, als sie gewaltig an Größe zunahm, denn sie war nicht wirklich ein Mensch. Sie war Jahrhunderte zuvor neben ihrer einzigen Schwester aus dem Ei gekrochen, in der großen Wüste von Calimshan, weit im Südwesten.
    Tazmikella der Kupferdrache stieg in die Nachtluft auf. Sie gewann rasch an Höhe und flog von der Menschen-Stadt weg. Die Anführer hier im Land wussten, wer sie war, und akzeptierten sie, aber die einfachen Leute würden es selbstverständlich nie verstehen. Wenn sie sich ihnen zeigte, würde König Gareth und seinen Freunden nichts anderes übrigbleiben, als sie aus den Blutsteinlanden zu scheuchen. Und Tazmikella wollte es wirklich nicht auf einen Kampf mit ihnen ankommen lassen.
    Sie flog direkt nach Norden, über den am wenigsten bevölkerten Teil von Morov und in das noch weniger bevölkerte Herzogtum von Soravia. Sie hielt sich zwischen dem Goliad und der Galena-Schlange, den

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