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Die Vergessenen

Die Vergessenen

Titel: Die Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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hat, wie du es ausdrückst?«
    »Vermutlich«, sagte Shree, »weil sie gar nicht dabei war.«
    »Zelda Smythe wandelte inmitten des Flötengrases und hörte die Musik der Engel, vermischt mit den rauen Schreien der Dämonen«, zitierte Jem, der des Spiels jetzt müde wurde.
    »Zelda Smythe«, erklärte Shree, »starb mit hundertsechsundachtzig Jahren in ihrem Palast auf Antigua. Die Kombination aus Medikamenten, mit deren Hilfe sie das AIDS VII einzudämmen versuchte, an dem sie litt, vertrug sich nicht mit den übrigen Drogen, die sie für die Freizeit benutzte.«
    »Lügen«, entgegnete Jem.
    »Wozu?«, fragte Shree.
    »Du möchtest doch nur meinen …«
    Grants Handrücken krachte auf seinen Mund, ehe er den Satz zu Ende bringen konnte. Jem stürzte und rutschte über den Aschenboden, und Lichter flammten hinter seinen Augen auf. Einen Augenblick später hatte ihn Grant an der Gurgel gepackt, zerrte ihn hoch und rammte ihn mit dem Rücken an die verkohlte Mauer.
    »Hör mal gut zu, du kleiner Scheißer«, sagte er. »Wenn wir ›deinen Glauben zerstören‹ wollten, indem wir dich mit Lügen füttern, könnten wir dir einen Verstärker angesetzt haben, wie der, den dir Tinsch in den Schädel stecken wollte, bis ich ihn daran gehindert habe. Wir könnten deinen Verstand zerlegen und ihn in jeder Gestalt unserer Wahl wieder zusammensetzen. Wir könnten dich glauben machen, Zelda Smythe wäre eintranssexueller Orang-Utan, der auf dem Mars von Bananen lebt. Wir könnten dir einfach alles weismachen. Aber warum sollten wir? Denkst du wirklich, du wärst so beschissen wichtig, dein Glaube wäre so beschissen wichtig, dass wir Ressourcen darauf verschwenden wollten?«
    »Offenkundig – tut ihr das«, würgte Jem hervor.
    Grant starrte ihn an und öffnete dann unvermittelt den Griff. »Du bist nicht wichtig, deine verdammte Religion ist nicht wichtig. Wichtig ist, was ein Biomechanismus dir vielleicht in den Schädel gestopft hat.«
    Jem rieb sich den Hals. Diese beiden würden ihn niemals mögen, niemals den langen Weg begreifen, den er zurückgelegt hatte und auf dem er noch immer unterwegs war, würden ihn nie als jemand anderen betrachten als den Proktor Jeremiah Tombs. Im weiteren Verlauf seiner Reise würde er an Wiedergutmachung leisten, was er konnte, aber für Sanders, nicht für diese beiden. Er würde jedoch verdammt noch mal ihren Respekt genießen.
    »Nur Vernichtung ist real«, sagte er, und euklidische Formen heischten lautstark um die Möglichkeit, den Schächten seines Bewusstseins zu entrinnen. Ein Schrei des Verlustes verwandelte sich in einen Laut, der niemals aus dem Mund eines Menschen hätte stammen können. »Der Glaube an ein Negativum ist jedoch unvollständig, wenn ein Penny doch zwei Seiten hat.«
    »Wovon redest du?«
    »Ich bin bereit, die Wahrheit zu hören, Soldat«, antwortete Jem. »Und vielleicht wird dabei auch die Wahrheit über das aufgedeckt, was mir der Techniker in den Verstand eingebrannt hat.«
    Seit der letzte Insasse auch nicht mehr da war, hatte das Sanatorium eine geisterhafte, fast trübselige Atmosphäre entwickelt. Sanders starrte von dem kleinen Landeplatz, der landeinwärtsin den Berghang geschnitten war, zum Sanatorium hinauf. Es widerstrebte ihr, dorthin zurückzukehren, denn sie scheute sich davor, diesen Abschnitt ihres Lebens zum Abschluss zu bringen. Dann stieg sie ärgerlich aus dem gemieteten Gravotransporter, ging zur seitlichen Ladeluke und hieb auf die Verschlussplatte.
    Im Laderaum hockten zwei große Plasmelkoffer. Auf der Fernbedienung, die Sanders aus der Hosentasche zog, wählte sie auf dem Bildschirmmenü »Folgen« und nahm dann den Schotterweg, der schnurgerade nach oben führte, statt der gewundenen Versorgungsstraße zu folgen – am besten brachte sie die Sache schnell hinter sich. Nach kurzer Zeit legte sich ihr Ärger und sie blickte zu den beiden Schwebekoffern zurück, die ihr auf dem Fuße folgten. Sie stellte zufrieden fest, dass der unebene Weg ihnen keine Probleme zu bereiten schien, obwohl ihre übliche Umwelt aus Runcible-Terminals und Raumhäfen bestand.
    Wenig später stand sie vor der Traubenholztür, die zum rückwärtigen Hof führte. Zu Zeiten der Theokratie hatte diese Tür passgenau und luftdicht geschlossen, und Sanders hätte zuerst die Außenluke einer Luftschleuse durchqueren müssen, um sie zu erreichen. Inzwischen war die Luftschleuse ebenso entfernt worden wie das Dach des dahinterliegenden Hofes, und das Wetter hatte sich

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