Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Vergessenen

Die Vergessenen

Titel: Die Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
zweifelhafter erscheinen ließen.
    Er ist eine Kriegsmaschine.
    Als Clyde ihm das sagte, hatte Chanter dies als tiefe Kränkung empfunden und sich instinktiv an die Auffassung geklammert, dass nichts, was speziell für Zerstörung und Tod hergestellt worden war, über künstlerische Empfindungsfähigkeit verfügen konnte. Er hatte sich mit Clyde gestritten, obwohl er selbst zu dem Zeitpunkt schon wusste, wie infantil seine Reaktion war, aber er konnte sich einfach nicht bremsen. Kriegszeiten brachten manche der größten Kunstwerke hervor, und nur die Erfordernisse des Überlebens und das Fehlen jedes Übermaßes an Reichtum und Freizeit aller Beteiligten begrenzten die Kunst mengenmäßig. Als Clyde ihn dann darüber informierte, dass der Techniker womöglich auch eine natürlich entwickelte Kreatur sein könnte, die man für Zwecke des Krieges adaptiert, genetischmanipuliert und aufgerüstet hatte, klammerte sich Chanter an diese Idee wie jemand, der in einem Sumpf versank, nach überhängendem Flötengras greifen würde.
    »Dann liegt also ein Trauma vor, aus dem die Kunst entsteht«, hatte Chanter gesagt. »Eine natürliche Kreatur, die man dazu pervertiert hat zu töten, der man destruktive Technik eingepflanzt hat und in der alles, was sie darstellte, unterdrückt, verkrüppelt, zerstört wurde.«
    »Wobei Sie davon ausgehen, dass sie zuvor nicht auch schon ein Killer war. Sie setzen frühere Intelligenz voraus und genügend geistige Kapazität für eine Empfindung des Leidens.« Clyde hatte von seinem Platz vor dem Monitor zu ihm aufgeblickt, auf dem Datendiagramme wie Knochenplastiken gespenstisch aufeinanderfolgten. »Der Organismus, der dem Techniker zugrunde liegt, hatte vielleicht nicht mehr geistige Kapazität als ein terranischer Gliederfüßer – war vielleicht nichts weiter als ein Wesen, das die Evolution dazu programmiert hat zu töten, zu fressen und sich fortzupflanzen.«
    »Die Plastiken verraten mir etwas anderes«, wandte Chanter ein. »Wie passend, dass sich eine für den Krieg verformte Kreatur ein solch blutiges Medium für ihre Kunst aussucht.«
    »Was der Techniker an analytischem Verstand besaß und vielleicht nach wie vor besitzt, das könnte ein Zusatz sein, könnte die Art Ausbausatz darstellen, die man in einem Menki findet. Der Verstand könnte das Künstlichste an ihm überhaupt sein.«
    »Künstliche Intelligenzen produzieren Kunst«, sagte Chanter und wurde sich darüber klar, dass er damit einem Leitsatz widersprach, den er die meiste Zeit seines Lebens verfochten hatte, und der den Grund für seine vorangegangene Kränkung darstellte. Er hatte geglaubt, dass Maschinen keine Kunst hervorbrachten. Seinem früheren Empfinden nach konnten nur natürlich entwickelte Kreaturen sie hervorbringen, konnten KIs nur kopieren, verfügten sie nicht über die Seele dafür . Jetzt lösten dieserGedanke und all das, was dieses zweifelhafte Wort – Seele – implizierte, eine tiefe Verwirrung in ihm aus. Clyde betrachtete ihn nur mitleidig und wusste vermutlich sogar nach ihrer kurzen Bekanntschaft schon, dass Chanter sich gerade selbst in den Fuß geschossen hatte.
    »Sie verstehen das einfach nicht«, sagte der Amphibienadaptierte, und hitziger Zorn erzeugte eine dunkelrote Tönung seiner Warzenhaut.
    »Ganz im Gegenteil«, sagte Clyde. »Ich verstehe, dass Ihr Kartenhaus zusammenbricht, Chanter, und dass Sie ungeachtet aller Einwände über die nötige Intelligenz verfügen, das selbst zu erkennen.«
    Chanter drehte sich einfach um und ging, und er fühlte sich dumm und war sehr ärgerlich auf sich.
    Das Erd-Uboot wartete genau dort auf ihn, wo er es zurückgelassen hatte, und hielt nach wie vor mit dem langsamen Molluskenkriechtempo des Tagreb Schritt. Er deutete mit der Fernbedienung auf das Fahrzeug, während er mit matschenden Schritten über schlammigen Boden stampfte, der von der dahinkriechenden Basis aufgewühlt war. Die Einstiegsluke öffnete sich und bot ihm die willkommene Zuflucht. Sobald er sich auf seinem Sitz niedergelassen hatte, schloss er den Sicherheitsgurt. Er packte die Lenksäule und drückte sie nach vorn und abwärts, und das Triebwerk reagierte mit tröstlichem Tosen, das alsbald gedämpft klang, als sich das Uboot in den Schlamm bohrte. Als Nächstes kontrollierte Chanter den Standort des vom Techniker ausgehenden Signals auf seinem Monitor, und nach einem Blick auf die seismischen Karten des zu durchquerenden Geländes änderte er zehn Meter unter der

Weitere Kostenlose Bücher