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Die Vergessenen

Die Vergessenen

Titel: Die Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Drache nannte und ganz und gar nicht nach einem aussah, hatten sich für die Bezeichnungen Narbengesicht und Nichtnarbengesicht entschieden, sobald der Unterschied festgestellt werden konnte. Und der Grund für den Namen der Drachenfrau Blau war sofort ersichtlich.
    Drachenmenschen waren nach dem Bild gestaltet worden, das sich ein Prä-Runcible-Wissenschaftler von möglichen Weiterentwicklungen der Dinosaurier gemacht hatte, wären sie nicht ausgelöscht worden. Als Mensch hatte dieser Wissenschaftler sein Modell natürlich anthropomorph gestaltet, als einen Dinosauriermenschen, einen krötengesichtigen Echsenmenschen,eigentlich die Art böser Kreaturen, die man in so ziemlich jeder virtuellen Fantasy-Erfahrung antraf, die auf dem Markt angeboten wurde. Im Allgemeinen waren Drachenmenschen vom Hals bis zur Leiste blassgelb, und die übrigen Schuppen bewegten sich zwischen Grasgrün und einer tiefen Jadetönung. Die Frau Blau hingegen sah genauso aus, wie ihr Name andeutete. Die dunkleren Schuppen waren beinahe Blauschwarz, und die helleren an der Vorderseite des Körpers zeigten ein merkwürdiges, fast künstlich aussehendes Himmelblau.
    Sanders stieg aus ihrem Gravovan und musterte zuerst diese Frau und dann die kleine Stadt hinter dieser. Der Name des Ortes war ebenfalls wörtlich zu nehmen, denn er stand am Rande der Stelle, wo eine Drachenkugel – jene, die von der Theokratie als Behemoth bezeichnet worden war – sich selbst geopfert hatte, um die Lebensform der Drachenmenschen zu schaffen. Also Dragon Down, Drache am Boden. Natürlich fand man hier keinen Krater mehr – die Trikonusse und die bedächtigen Gezeiten des Schlamms hatten ihn beseitigt.
    »Bitte hier entlang.« Blau deutete auf einen Gehweg, der sich über den stark aufgewühlten Schlamm zog, und sprang selbst mit dieser eigenartigen vogelbeinigen Gangart gewandt hinauf.
    »Ich habe Gepäck«, wandte Sanders ein.
    »Natürlich hast du das«, entgegnete die blaue Drachenfrau.
    Benötigte Sanders ihre Habseligkeiten wirklich? Wie lange würde sie sich hier aufhalten? Auf beide Fragen wusste sie keine Antwort. Sie empfand es jedoch als nötig, die Lage wieder in den Griff zu bekommen und sich zu behaupten. Sie ging zur Seitentür ihres Fahrzeugs, wobei sie bis zu den Knöcheln in den aufgewühlten Schlamm sank, bis die Schuhsohlen auf dem Gitter landeten, das vom Gewicht des Gravovans unter die Schlammoberfläche gedrückt worden war. Sanders drückte die Handfläche auf den Türsensor, trat zurück und holte die Fernbedienung aus der Hosentasche. Einen Augenblick später kam einer derbeiden Schwebekoffer zum Vorschein und wiegte sich, während seine Sensoren darum rangen, sich auf die Bodenbeschaffenheit einzustellen. Sanders sah ihm einen Augenblick lang zu, bis er sich auf die Gegebenheiten eingestellt hatte, drehte sich um und folgte Blau auf den Gehweg.
    Die Stadt ähnelte stark den übrigen Drachenmenschenstädten, die über Masada verstreut lagen. Aus der Ferne wirkte sie wie eine ausgedehnte Ansammlung von riesigen weißen Bauchpilzen, die aus dem Schlamm wuchsen. Erst beim Näherkommen wurde die übrige Infrastruktur zwischen den Kugelhäusern erkennbar, die Speichertanks, Generatorstationen, Kinderkrippen, Biofabriken … obwohl der Unterschied zwischen den beiden zuletzt genannten, soweit Sanders wusste, womöglich nur schwer zu bestimmen war.
    »Ich bin hier, um jemanden zu sehen«, sagte sie und stellte fest, dass es ihr widerstrebte, sich weiter von der illusionären Sicherheit ihres Fahrzeugs zu entfernen – dasselbe Widerstreben, das ihre Ankunft hier verzögert hatte, als sie beschloss, erst mal nach Zealos zurückzukehren und in einem Hotel zu wohnen. Es gefiel ihr nicht, Amistad zu gehorchen, und Drachenmenschen ängstigten sie. Die letztgenannte Empfindung war im Grunde töricht, denn obwohl man überall in der Siedlung gefährlich aussehende Drachenmenschen erblickte, traf man hier auch Menschen an. Nur wenige Meter von ihrem Gravovan entfernt stand ein großer alter Geländewagen, noch immer mit einer Tarnlackierung und einem Schienenkanonenturm auf dem Dach, und hinter diesem lag ein Antischwerkraftbus – ein nützliches Transportmittel, das wie ein Backstein mit Fenstern auf der Wurzelstockmatte lag. Eine Frau, vermutlich die Fahrerin, saß auf der Trittstufe der offenen Tür und rauchte eine Zigarette – eine Gewohnheit, die sich manche an die Atmosphäre angepassten Masadaner zugelegt hatten, als wollten sie der

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