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Die Vergessenen

Die Vergessenen

Titel: Die Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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genauso empfanden, in der ihre Maschinen noch neu waren und als abgesonderte Kategorie verstanden wurden. Die Atheter seiner eigenen Zeit hatten es besser gewusst, aber das war eine geschichtliche Periode, die weit hinter Jahrzehntausenden des Krieges vergessen war, des Aufstiegs und Falls, wobei sie niemals ganz aus dem Zeitalter der Maschinen herausgefallen waren.
    »Was hat das zu bedeuten?«, wollte Jem wissen.
    Chanter starrte ihn eine ganze Weile lang nur an. Hatte er die Frage nicht verstanden? Doch, denn schließlich antwortete er: »Ein seelenloser Mechanismus.«
    Ach ja, die Seele …
    Jem verstand den Begriff; er hatte selbst früher felsenfest an Seelen geglaubt. Er zuckte zusammen, so peinlich war ihm das heute, und spürte, wie er sich auflöste, wie seine fünfundvierzig Jahre menschlichen Lebens in der Unermesslichkeit der Erfahrung und des Begreifens untergingen. Dann löste sich etwas in ihm ab; dieser andere Verstand, den er barg, koppelte sich ab und verwandelte ihn aufs Neue ein bisschen mehr, ging aber wieder auf Distanz zu ihm.
    »Was hast du jetzt vor?«, fragte Jem.
    Chanter starrte ihn nur wieder an und wandte sich unvermittelt an Blau. »Sind wir hier fertig?«
    »Wir sind fertig«, stimmte ihm die Drachenfrau zu. »Bist du zufrieden?«
    »Zufrieden? Wohl kaum.« Er wandte sich an Jem. »Ich kehre jetzt zu meinem Erd-Uboot zurück. Ja«, nickte Chanter vor sich hin, »ich kehre zurück.« Er stampfte zur Tür, die sich zuvorkommend für ihn öffnete, und ging hinaus.
    Jem drehte sich jetzt zu Blau um. »War das für Drache auch ästhetisch ansprechend?«
    Blau nickte. »Drache hielt diese Sache für unerledigt und hinterließ deshalb die Erinnerungen.«
    »Hat sich Drache lebendig gefühlt, wenn er sich einmischte?«
    »Ich verstehe dich nicht.«
    »Bedenke Chanters Gefühl, konstruierte Organismen und entwickelte Organismen wären verschieden. Ich frage erneut: Hat sich Drache lebendig gefühlt, wenn er sich einmischte?«
    »Deine Worte sind immer noch unklar.«
    Jem gestattete sich ein leises Lächeln, eine menschliche Dehnung im Gesicht, die eine bestimmte Art von Mitteilung kennzeichnete. Der Weber hatte vor langer Zeit einmal die gleichen Probleme erlebt. Kriegsmaschinen wie der Techniker konnten niemals untätig bleiben.
    »Drache war sich darüber klar, selbst ein Biomech zu sein, und er war sich des Glaubens seiner Erschaffer an die eigene Einzigartigkeit gewahr. Um sich zu beweisen, musste er handeln, konnte nicht untätig bleiben.«
    »Ich habe manchmal Drachenträume.«
    »Absolut«, sagte Jem. »Und im Zuge des Handelns ging Drache darüber hinaus, den Techniker nur zu heilen, nicht wahr? Drache traf Vorbereitungen für die unausweichlichen Resultate, wenn der Techniker voll funktionsfähig würde.«
    Blau sagte nichts, sondern blickte nur.
    Jem fuhr fort: »Vielleicht war dir nicht klar, dass der von dir auf Draches Geheiß bereitgestellte Download mir mehr verriet als Chanter. Du spielst dabei eine Rolle. Du spielst weiterhin eine Rolle, denn du wurdest angewiesen, das Mittel bereitzustellen, um all dem ein Ende zu bereiten. Wo und wie?«
    Blau blinzelte, und sogar ihr Drachengesicht zeigte nachdenkliche Züge. »Ja, du solltest diese Frage stellen.«
    »Und du eine Antwort.«
    »Das Mittel wurde hergebracht, und Shree Enkara führt es bei sich. Sie plant, es gegen die Atheter-KI einzusetzen, aber allein diese Absicht ermöglichte es mir, sie in deine Nähe zu steuern.«
    Jem nickte einmal zustimmend und folgte dann Chanter.
    Während er in den Abend Masadas hinaustrat, verarbeitete Jem die neuen Informationen und gelangte dabei zu Schlussfolgerungen, die ihm nicht gefielen. Er war sein Leben lang manipuliert und benutzt worden, zuerst von der Theokratie, dann von der Polis und jetzt von Drache. Nie hatte sein Schicksal in seiner eigenen Hand gelegen. Allerdings war nicht zu vermeiden, was für ihn geplant worden war. Er musste die Sache durchziehen, ehe er jemals einen eigenen Weg finden konnte. Er beeilte sich, Chanter zu folgen, und fiel neben dem Amphibienadaptierten ein, während dieser die Stadt durchquerte. Sie wechselten keine Worte, bis sie den Stadtrand erreicht hatten, wo Chanter stehen blieb, die Arme verschränkte und versonnen zu seinem Erd-Uboot hinüberblickte.
    »Flüchtest du?«, fragte Jem.
    »Vielleicht«, antwortete Chanter.
    »Dass der Techniker eine fehlerhafte Maschine war, das heißt noch nicht, dass er sich nicht künstlerisch ausdrücken

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