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Die Vergessenen

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Titel: Die Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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ist, um ihn zu motivieren, dass er sie überwindet. Das scheint aber nicht zu klappen.« Die Untertreibung der Stunde, denn Tombs saß jetzt seit vierzehn Jahren in diesem Rollstuhl. Sanders warf einen Blick auf die Drohne, aber es hatte keinen Sinn, dort nach einer Miene zu suchen, die man hätte deuten können. »Das Problem liegt in seinem Kopf – also dort, wo man mir ausdrücklich jede Einmischung verboten hat. Hätte man mir ein bisschen mehr Spielraum zugestanden, dann hätte ich diese verdammte Schädelprothese ersetzen können, hätte all die ausgebrannten Nerven neu züchten und die kleinen Löcher im Knochen füllen können.«
    »Das ist nun mal notwendig«, sagte die Drohne. »Allerdings ist interessant, dass er alles oberhalb der Taille weiterhin nutzen kann. Stellt er irgendetwas mit den Händen an?«
    »Was zum Beispiel?«
    »Stellt er vielleicht Plastiken her?«
    »Er zeichnet«, antwortete sie.
    Vor drei Jahren war deutlich geworden, dass Jem zeichnen wollte, denn er war dazu übergegangen, mit den eigenen Exkrementen Bilder auf dem Fußboden seines Spezialbadezimmers zu erzeugen. Also versorgte ihn Sanders mit dem nötigen Zubehör. Zum Glück nahm er dieses an und stellte die Experimente mit dem vorherigen Medium ein.
    »Was zeichnet er?«
    »Mollusken«, antwortete sie.
    Sie hatte einige Zeit gebraucht, um darauf zu kommen, was seine Zeichnungen darstellten – all diese geometrischen Figurenin komplexen und spezifischen Mustern, mit denen er sich so lange abmühte, ehe er sie mit jeweils einem Kreis umschloss und dann auf den Fußboden warf. Erst als Sanders eines Tages einen Spaziergang hier draußen unternahm und Pfennigmuscheln sah, die sich an die Schattenseite eines Steins klammerten, wurde ihr klar, was Jem zeichnete. Vielleicht gab der Zeitraum, den sie ungeachtet ihrer Studien der Inselbiologie für diese Erkenntnis benötigte, einen guten Hinweis darauf, wie stark sie sich in den eigenen Kopf zurückgezogen hatte.
    »Interessant«, fand die Drohne, aber das war schon alles.
    »Wann werden wir seinen Verstand wieder zusammensetzen?«, fragte Sanders.
    Jem freute sich darüber, dass die Terrasse so breit war, aber er wünschte sich, sie wäre noch breiter gewesen, damit er mehr Abstand zu diesem Ding hätte halten können. Warum es hierherkam und diese unsinnigen Gespräche mit Sanders führte, das wusste er nicht. Er wünschte sich einfach, es würde fortgehen und nie zurückkehren. Er hob den Kopf und blickte forschend zu dem Ding hinüber. Es war nach dem Vorbild eines Tieres von der Erde geformt worden. Aus dem Computer hatte er erfahren, dass die Gestalt der eines Spinnentieres ähnelte, das man Skorpion nannte, obwohl das nicht unbedingt stimmen musste, waren doch die Informationen, die sie ihm gestatteten, mit ihren Lügen durchsetzt.
    »Du kennst die Antwort darauf«, antwortete die Skorpiondrohne und verlagerte ihr Gewicht auf den Fliesen, deren Farbe an die Haut eines Ertrunkenen erinnerte.
    Jem spürte, wie die Terrasse unter seinem Stuhl vibrierte. Ihn schauderte, und er senkte den Blick wieder auf seinen Skizzenblock, stellte den Stift auf Löschmodus ein und entfernte die gezeichnete Gestalt, schaltete wieder auf den Zeichenmodus um und begann aufs Neue.
    »Ja, sobald du die Antworten hast, die du brauchst.«
    Sanders ruhte in einem bequemen Sonnenstuhl und hatte auf dem Steintisch neben sich ein Getränk stehen, dessen Eis in den Farben des Regenbogens schillerte. Sie trug einen hautengen Bodysuit, der unmittelbar unter den Brüsten und am oberen Ende der Schenkel endete. Jem wünschte sich, sie würde sich schicklicher kleiden. Frauen sollten sich nicht in solchem Maße den Blicken von Männern preisgeben, erst recht nicht dem Blick einer dieser gottlosen Maschinen.
    Sie fuhr fort: »Mir geht der Gedanke durch den Kopf, Amistad, dass du mehr an seinem derzeitigen Geisteszustand interessiert bist als an irgendwelchen Antworten, die er dir vielleicht liefert.«
    »Du hast völlig recht«, sagte die Drohne, und Sanders beugte sich mit unvermitteltem Interesse vor. »Erst, wenn ich diese Antworten kenne, werde ich umfassend begreifen, was ihm angetan wurde, und auf diese Weise mein Interesse stillen. Und wir sind diesem Ziel jetzt viel näher gekommen.«
    »Näher?«
    »Es ist«, erklärte die Drohne, »ein Überlebensmerkmal des Menschen – diese Fähigkeit, Schmerzen zu vergessen.«
    »Niemand vergisst Schmerzen.«
    »Du missverstehst mich.« Die Drohne deutete mit einer

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