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Die Vergessenen

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Titel: Die Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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die Tür auf den Fußweg. Ein leichter Wind strich an ihm vorbei, erzeugt durch das Luftdruckgefälle. Und als sich das Schimmerfeldseiner Polis-Atemmaske automatisch abschaltete, wandte er sich nach rechts, um direkten Kurs auf sein Ziel zu nehmen.
    Zeit, eine Warnung zu überbringen.
    Amistad fand Chanter amüsant: einer dieser Grenzfälle mit schwachem Autismus, der seine Soziopathie aufwog, sodass er nicht gesellschaftsfeindlich, sondern nur einzelgängerisch war. Der Mann hatte beschlossen, sich den Kopf nicht neu ordnen zu lassen, sondern sich für eine umfassende körperliche Adaptation entschieden, um seinen monastischen, hochgradig introvertierten Interessen nachgehen zu können. Auf einem Planeten hatte er als gliedloses, aber aufgerüstetes Fischsensorium gelebt, um die Schwarmbildungsmuster irgendeiner seltsamen ozeanischen Lebensform zu erforschen, die an einen Schleimpilz auf Speed erinnerte. Auf einem anderen Planeten war er zu einer vollständig menschlichen Gestalt zurückgekehrt, um die Gemälde einer Künstlerin zu studieren, die damals in Mode war, bis er sich schließlich als lästig erwies und verwarnt werden musste. Als er dann vom Techniker auf Masada erfuhr, und da er außerdem wusste, dass er hier nicht in Gefahr schwebte, als Stalker eingestuft zu werden, entschied er sich für eine umfassende Amphibienadaptation, steckte seine sämtlichen Mittel in dieses Erd-Uboot und einige andere Ausrüstungsgegenstände und kam hierher, um diese Kreatur zu erforschen.
    Als Amistad vor sechs Jahren von Chanters Anwesenheit und seinem Interessengebiet erfuhr, stufte er ihn zunächst als unnötige Komplikation ein und erwog, ihn zu entfernen. Seit der Rebellion hatte der Mann jedoch nichts weiter getan, als wie ein eifriges Hündchen dem Techniker zu folgen, und er gab dieses Unterfangen jeweils nur eine Zeit lang auf, um in seinen unterirdischen Stützpunkt zurückzukehren oder um Gerüchten von Plastiken und Fragmenten von Plastiken nachzugehen, die man auf der Oberfläche fand. Chanter schien harmlos, und einweiteres Element in Amistads Überlegungen hinderte ihn daran, den Mann wegschicken zu lassen: Komplikationen zu beseitigen, um vereinfachte Muster zu finden, vereinfachende Lösungen für Probleme, das war ein menschlicher Ansatz. Aus diesem Grund hatten die Menschen auch Religionen wie die hiesige entwickelt und waren in ihrer ganzen Geschichte durch Aberglauben, eingeschränkte Werturteile und eine Neigung zu vordergründigen Erklärungen behindert worden. Amistads eigene Forschungen hatten ihm gezeigt, dass der Beibehalt von Komplikationen oft half, ein Rätsel ein für alle Mal zu lösen oder zumindest fachfremde Komponenten zu dieser Lösung zu finden. Und vor vier Jahren hatte Chanter das in höchstem Maße getan.
    Die von ihm entdeckte antike Plastik hatte gezeigt, dass der Techniker ein lebendes Artefakt war, eine Kreatur, die eindeutig den halben Zeitraum zurückdatierte, seit die Atheter den eigenen Verstand löschten und die eigene Zivilisation zermalmten. Die Sache ging jedoch noch darüber hinaus, weiter als Chanter erkannt hatte. Kapuzler waren zwar langlebig, aber körperlich und genetisch nicht robust genug, um über einen solch haarsträubenden Zeitraum zu überleben. Dass vor einer Million Jahren eine Mutation dazu geführt haben könnte, das war ungefähr so wahrscheinlich, wie beim Werfen einer Münze tausend Mal hintereinander Kopf zu erzielen. Amistad erinnerte sich noch genau an den kurzen Wortwechsel mit Penny Royal von damals.
    »Sag mir, was du denkst«, hatte Amistad verlangt.
    »Zwei Millionen Jahre«, hatte Penny Royal geantwortet.
    Die Seeigel-KI, einst als schwarz eingestuft, für Amistads Begriffe heute jedoch nur von etwas dunklerer Grauschattierung als er selbst, klatschte einen Tentakel auf das Plattformgeländer und widmete diesen Tentakel dann wieder einer Aufgabe, die beunruhigend danach aussah, als diente sie der Schärfung der schwarzen Stacheln. Amistad wusste jedoch, dass es nur eine seltsame Methode darstellte, Dataport-Verbindungen zwischenseinen sieben Bewusstseinszuständen herzustellen. Vielleicht erinnerte sich auch Penny Royal an diesen Wortwechsel.
    Amistads Klaue packte dasselbe Plattformgeländer, als wollte sich die Drohne gegen das leichte Schwanken sichern, das hier an der Spitze des Stiels herrschte, während die Untersektion hundert Meter unter ihnen durch die Wurzelstockmatte schnitt. Der Aussichtsturm war nach wie vor in Bewegung –

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