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Die Vergessenen

Die Vergessenen

Titel: Die Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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reagierte mit Entsetzen, denn der Lehrer würde alsbald mit seinem Flötengrasstock auftauchen, der tutete und pfiff, während er Jem die unvermeidlichen Prügel verabreichte.
    Jem wurde ruckartig wach. Kalypse stand hoch und nebelhaft am Himmel, und das Sonnenlicht warf Schattengitter durch das umgebende Gras auf ihn. Er setzte sich auf, wusste nicht recht, wie viel von der Nacht er richtig geschlafen hatte. Einen Augenblick später öffnete er den Rucksack, holte die verbliebene Feldflasche mit kaltem Kaffee hervor, trank tief und musterte dann die versiegelten Esspäckchen, die er mitgenommen hatte. Er wusste, dass er etwas hätte essen sollen, aber er hatte keinen Appetit. Schon meldeten sich Zweifel zurück und setzten ihm zu, ein konstanter nagender Schmerz im Kern seines Wesens. Was Sanders ihm erzählt hatte, das schien die einzige vernünftige Erklärung für alles, was er gesehen hatte: Vor zwanzig Jahren war es hier zu einer erfolgreichen Rebellion gekommen, wonach die Polis ihre satanischen Maschinen herbrachte.
    Er aß, weil er seine Kräfte brauchte, aber er tat es ohne Genuss, packte dann die Vorräte wieder zusammen und erhob sich schwankend. Als er auf den Kiesstrand hinaustrat, bemerkte er zunächst, dass Kalypse das Meer herangezogen hatte und die Wellen hier an der Wurzelstockmatte leckten; dann entdeckte er die beiden Spuren, die sich über den Kiesstrand und das Watt zogen und zwei Linien zwischen seinem Standort und dem Inlandgras zogen. Etwas Großes war in der Nacht hervorgekommen und zurückgekehrt. Ihn schauderte, und er folgte einem diagonalen Weg zurück zur Wattfläche, wo ihm das Gehen leichter fiel, ehe er schließlich kompakteren Boden erreichte, der stark mit totem Gras durchsetzt war. Dort schlug Jem eine schnellere Gangart an; er wusste, dass er die Halbinsel inzwischen umrundet hatte. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass der Luftvorrat noch für mehr als einen Tag reichte. Er schätzte die in dieser Zeitspanne noch zurückzulegende Entfernung auf etwa dreißig Kilometer. Er dürfte keine Probleme bekommen, sofern ihm dieser Planet nicht neue Hindernisse in den Weg legte.
    Shree war nach wie vor per Verstärker mit Thracers Komgerät verbunden und blickte jetzt wieder durch das Panoramafenster von Thracers Wohnung, als Grant vom Tisch auf dem Marktplatz in der Tiefe aufstand und fortging. Er war als Leibwächter, Fremdenführer und Mentor für Tombs rekrutiert worden. Offensichtlich lag es an seiner Vorgeschichte mit dem Proktor, dass man ihn dazu aufgefordert hatte, aber obwohl sein Verhalten für Shrees eigene Pläne genau das Richtige war, überraschte sie, dass er die Aufgabe übernommen hatte. Seine Abneigung für die Theokratie war so fanatisch gewesen wie ihre eigene, und man hatte oft darüber nachgedacht, ihn für das Aufräumkommando zu gewinnen. Offenkundig hatte sich etwas verändert, aber wie Halloran schon gesagt hatte, sprachen die Umstände inzwischen für Shree.
    Sie hörte sich die weitere Diskussion am Tisch an. Miloh und David Tinsch wollten sich nichts gefallen lassen. Zur Hölle mit den Athetern. Was nutzten schon Informationen über eine Lebensform, die ihre eigene Zivilisation zerstört und an ihren Nachfahren eine Lobotomie durchgeführt hatte? Hier herrschte Unordnung, und es wurde Zeit, Masada ein bisschen saubererzu machen. Schutz? Klar doch. Mal sehen, wie Tombs vor einer Hochgeschwindigkeitskugel beschützt werden konnte, die aus tausend Metern Entfernung abgefeuert wurde, obwohl man den Mistkerl natürlich lieber bis zum Hals in Guano vergraben hätte, um mal zu sehen, wie lange er schreien konnte.
    »Ich fürchte, dass ich anderer Meinung bin«, wandte Thracer ein. »Wir haben kaum einen Eindruck davon, wozu diese Polisdrohnen fähig sind. Denkt daran, nur zwei von ihnen erledigten hier den größten Teil der Theokratie-Luftwaffe, und sie waren anscheinend nichts im Vergleich zu den Dingern, die man während des Pradorkrieges hergestellt hat.«
    »Also lassen wir das Arschloch leben?«, fragte Miloh ungläubig.
    »Wenn die KIs sich das angeeignet haben, was in seinem Kopf steckt, werden sie das Interesse an ihm verlieren.« Thracer lächelte. »Dann bringen wir ihn zur Strecke.«
    Miloh schob seinen Stuhl nach hinten und stand auf. Tinsch, der recht alltägliche Kleidung trug, um seinen tief sitzenden Hass zu verbergen, tat es ihm gleich.
    »Blödsinn«, fand Miloh. »Du weißt verdammt gut, dass dies unsere letzte Chance sein könnte, an ihn

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