Die Vergessenen

durch das transparente Visier. Ihm wurde klar, dass es eine Proktorenatemmaske war, die sie trug, nicht die Atemmaske eines Bürgers. Vielleicht irrte er in der Annahme, dass sie nur eine Bürgerin war? Nein, sie trug keine Uniform, und sie fuhr einen Belader.
    »Für wen zum Teufel hältst du dich denn? Hierarch Loman?«
    »Ich bin Proktor Jeremiah Tombs«, stellte Jem unheilvoll fest. »Und ich möchte, dass du mich zur hiesigen Proktorenstation bringst.« Er starrte zur Innenstadt hinüber. »Anscheinend wurde sie verlagert.«
    Sie starrte ihn eine ganze Weile lang an und sagte dann staunend: »Klar doch … du bist dieser Spinner, vor dem sie uns gewarnt haben.« Auf einmal grinste sie. »Tut mir leid, Proktor, bitte verzeih mir. Ich schlage vor, dass du in die Stadt gehst, den Marktplatz suchst und dort fragst. Ich bin sicher, dass du dort reichlich Leute findest, die dir bereitwillig helfen werden, dichwieder zu deiner Theokratie zu gesellen.« Sie drehte sich plötzlich um und ging zu ihrem Belader zurück.
    »Warte! Habe ich dir vielleicht erlaubt, dich zu entfernen?«
    Ohne sich umzudrehen, zeigte sie ihm den Mittelfinger und setzte ihren Weg zum Belader fort. Jem nahm die Harpune von der Schulter und zielte damit auf ihren Rücken. »Ich gebe dir nur diese eine Warnung.« Sie musste gehorchen, sie musste gehorchen; andernfalls war die Welt aus dem Gleichgewicht.
    Sie warf einen Blick zurück, sah die Harpune und blieb stehen.
    »Oh, ein gefährlicher Irrer«, sagte sie. »Na ja, sei dir auch sicher, dass du triffst, Tombs, denn solltest du danebenschießen, werde ich dein Gesicht in …«
    Sie verstummte unsicher und blickte an eine Stelle seitlich von ihm, von wo gerade ein Schatten über ihm aufragte. Jems Harpune feuerte. Er musste den Abzug betätigt haben, ohne dass er es gewollt hatte. Die Waffe erzeugte einen seltsamen Knall und ruckte in seiner Hand. Eine Platte hatte sich seitlich an ihr geöffnet, und eine große Sprungfeder baumelte dort hervor. Als Jem die Waffe senkte, fiel die eigentliche Harpune hinaus und landete klappernd am Boden. Er ließ die Waffe fallen, die offenkundig nutzlos geworden war, während sein Blick weiter auf der Frau ruhte.
    »Heilige Mutter Gottes«, flüsterte die Frau und wich zurück, die Augen vor Angst weit aufgerissen.
    Jem wollte gar nicht zur Seite blicken und sehen, was dort neben ihm stand. Er sah im Augenwinkel Hinweise, aber sich umzudrehen, hätte ihm gezeigt, was dort aufragte, und er hatte Angst, dass es eine Schnatterente sein würde. Die Frau drehte sich um und rannte los, stieg in ihren Belader hinauf und knallte die Tür des Führerhauses hinter sich zu. Sie warf das Triebwerk an, riss das Fahrzeug mit qualmenden Reifen um hundertachtzig Grad herum und brauste davon, so schnell es ging. Jem hätte ihr am liebsten befohlen zurückzukommen, hätte sie am liebsten angefleht zurückzukommen, und brachte schließlich den Mut auf, sich umzudrehen.
    Da war nichts. Er blickte nur über flaches Schaumgestein hinweg zu dem Schiff, das im Hafen lag. Er spürte, wie Gelächter erst in ihm emporsprudelte und dann unvermittelt erstarb. Er sah nichts, aber eine unsichtbare Präsenz war in unmittelbarer Nähe spürbar. Er spürte eine Bedrohung, eine Art nachdrückliche Kraft, die gegen die Realität drückte, und erschreckenderweise auch einen verdrehten schwarzen Eifer. Sofort war ihm klar: Wenn er nur wenige Schritte in diese Richtung zurücklegte, würde er die Hölle betreten. Der Satan lauerte dort; der Teufel war persönlich in Jems Zeit der Apokalypse hier erschienen.
    »Du bekommst mich nicht«, flüsterte er, drehte sich um und rannte auf die Innenstadt zu, fest überzeugt davon, dass ihm Höllenhunde auf den Fersen folgten.
    Chanter lenkte das Erd-Uboot an die Oberfläche, und gewohnheitsmäßig streckte er die Hand aus, um die Chamäleonware einzuschalten. Er zögerte nur eine Sekunde lang und aktivierte sie. Nach dem Sturz der Theokratie und dem Eintreffen der Polis auf dem Planeten hatte er sein Fahrzeug eine Zeit lang nicht mehr getarnt. Welchen Sinn hätte das gehabt, wenn keine Proktoren mehr zugegen waren, die ihn hätten entdecken können, und wenn diejenigen, die jetzt hier die Herrschaft ausübten, umfassend über seine Anwesenheit informiert waren? Wie er jedoch nur ein Jahr nach der Rebellion und auf halbem Weg durch die zweijährige Quarantänezeit feststellte, hatten die grundlegenden Veränderungen auf diesem Planeten eines nicht angetastet: