Die verlorene Bibliothek: Thriller
seinem Partner zu, der daraufhin die Waffe wieder aus Athanasius’ Mund nahm und ihn in die Ecke stieß. Athanasius prallte gegen einen Aktenschrank und fiel hilflos zu Boden. Gelassen zog der zweite Freund sich einen Stuhl heran und setzte sich Athanasius gegenüber.
»Angesichts der Gespräche, die Sie vor kurzem mit einer gewissen Emily Wess geführt haben«, fuhr der Mann fort, »sollten wir uns mal eingehend unterhalten.«
Athanasius starrte ihn voller Angst an.
»Aber diese Umgebung hier …«, bemerkte der Freund. »Das ist alles ein wenig unpersönlich, oder was meinen Sie? Mein Kollege hier wird Sie gleich in Ihr Büro zurückbringen, und dort werden wir dann ein konstruktives Gespräch führen.« Sadismus funkelte in den Augen des Mannes.
»Aber zuerst einmal«, fuhr er fort, »möchte ich sicherstellen, dass Sie Ihre Lage ganz genau verstehen. Deshalb schlage ich vor, wir legen erst einmal den Diskussionsrahmen fest.« Er streckte die Hand aus und nahm die Glock von seinem Partner entgegen. Ruhig und ohne Zögern zielte er auf Athanasius und jagte ihm eine Kugel in den Torso. Antoun wurde erneut gegen den Aktenschrank geworfen, und entsetzt riss er die Augen auf.
Der Freund gab die Waffe seinem Partner wieder zurück.
»Hier ist mein Angebot«, sagte er und schaute auf den blutenden Athanasius. »Wenn Sie mit uns kooperieren, besteht durchaus die Möglichkeit, dass wir Ihr Leiden ein wenig verkürzen.«
SAMSTAG
KAPITEL SIEBENUNDNEUNZIG
O XFORD , E NGLAND – 7:45 U HR GMT
Der Wagen des Sekretärs bog von der Broad Street in die Catte Street ein, die im rechten Winkel dazu verlief, an der Bodleian Library vorbei. Das große, eckige Gebäude war das schlagende Herz der Universität. Sie enthielt sowohl eine Reihe von Lesesälen für die Studenten wie auch die berühmte Sammlung Duke Humphreys, Oxfords größter Schatz an literarischen Artefakten. Und die Divinity School war direkt daran angebaut.
In den Straßen war Rushhour. Die Studenten der Stadt lagen zwar noch immer im Bett – das war samstags schon so etwas wie Tradition –, dennoch sprühte die kleine Stadt vor Leben. An der Broad Street wurden alle möglichen Souvenirs mit den Wappen der Stadt und der Colleges an Touristen aus aller Welt verkauft. Auf den Bürgersteigen fanden sich Stadtführungen zusammen, und Lieferwagen drängten sich am Straßenrand.
Ewans Männer hatten dafür gesorgt, dass ein ganzer Flügel der Bodleian Library für ihren Besuch abgesperrt worden war, und Ewan genoss es, aus dem Fenster zu schauen und das rot-weiße Absperrband zu sehen, das allen außer ihm und seinen Männern den Zugang verwehrte. Schilder an den Absperrungen verkündeten, das Gebäude sei ›wegen dringender Reparaturarbeiten vorrübergehend geschlossen‹. Sie hatten sich nur eine passende Geschichte ausdenken müssen – ein Gasleck in diesem Fall –, und schon hatten sie das Gebäude für sich gehabt.
Ewan genoss diese Art von Macht. Eine Macht, die schon bald um ein Vielfaches wachsen wird.
Einen Augenblick lang dachte er an seine Kindheit zurück, als sein Vater der Sekretär des Rates gewesen war. Schon früh hatte er seinem Sohn bewusst gemacht, welche Macht er dereinst ausüben würde. William Westerberg III., den Ewan immer nur ›Sir‹ genannt hatte, hatte ihn in seinem Arbeitszimmer zu Hause auf einen kleinen Stuhl gesetzt und ihm befohlen, alles aufmerksam zu beobachten, aber keinen Ton zu sagen. Und Ewan hatte fasziniert gesehen, über welche Macht sein Vater und durch ihn ihre ganze Familie verfügte. Der alte Herr hatte ein paar Anrufe getätigt und dem FBI befohlen, einen Mann zu entlassen, den er nicht in Gewahrsam sehen wollte. Einer seiner Freunde war mitten in einer Mission verhaftet worden, und das hatte Ewans Vater ganz und gar nicht gefallen. Und tatsächlich hatte es nur ein paar weniger Worte am Telefon bedurft, und das FBI hatte sich seinem Willen gebeugt. Ewan war im Büro seines Vaters geblieben, bis der freigelassene Freund gekommen war, um dem Sekretär Bericht zu erstatten. Sein Vater hatte den Mann dafür getadelt, dass er sich hatte erwischen lassen, und anschließend hatte er ihm befohlen, jeden FBI-Agenten zu eliminieren, der an seiner Freilassung beteiligt gewesen war, denn niemand durfte erfahren, über welche Macht der Rat verfügte.
Damals hatte Ewan zum ersten Mal gesehen, was echte Macht bedeutete, und seitdem hatte er sich danach gesehnt. Diese Macht war sowohl sein Geburtsrecht als auch sein
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