Die verlorene Bibliothek: Thriller
gesagt, die Bibliothek ist zerstört worden … Auf was genau sich diese ›Gesellschaft‹ bezieht, weiß ich nicht. Vielleicht handelt es sich ja nur um die Bibliotheksverwaltung.«
»Und wann ist sie zerstört worden?«
»Ich bin nicht sicher«, antwortete Emily.
»Und du wirfst mir mein mangelndes Geschichtswissen vor? Immerhin habe ich zu meinem Unwissen nicht auch noch einen Doktortitel in dem Fach!«
Emily lächelte.
»Mike, ich kenne die Antwort nicht, weil niemand sie kennt. Es ist eines der großen Geheimnisse der antiken Welt. Die Bibliothek von Alexandria wurde irgendwann während der Regierungszeit Ptolemäus des Zweiten gebaut. Das war Anfang des 3. Jahrhunderts vor Christus. Und sie wurde zur größten Bibliothek in der Geschichte der Menschheit. Und dann, ein paar Jahrhunderte später, ist sie einfach verschwunden.«
»Verschwunden?«
»Ein besseres Wort gibt es nicht dafür«, erwiderte Emily. »Die meisten Leute gehen davon aus, dass sie zerstört worden ist, obwohl es keine konkreten Beweise dafür gibt. Sie ist einfach verschwunden. Ein echtes Mysterium.«
»Nun, wenn das wirklich ein Mysterium ist«, sagte Michael, »dann hast du jetzt eine ganze Seite mit Hinweisen zu dessen Lösung.« Diesmal lachten sie beide nicht.
Emily schaute auf die dritte Seite.
»Könnte er diese Bibliothek wirklich gefunden haben?«, fragte Michael schließlich.
Wieder waren es Holmstrands seltsame Formulierungen, die Emily beschäftigten. Die Bibliothek existiert … wie auch die Gesellschaft … Sie sind beide nicht verloren … Emily dachte erst einmal nach, bevor sie Michael antwortete:
»Hätte irgendein anderer behauptet, er wisse, wo sich solch eine Bibliothek befindet, ich hätte das einfach als Unmöglichkeit abgetan und zwar sofort. Das ist einfach zu sensationell, nicht plausibel genug. Aber wir haben es hier mit Arno Holmstrand zu tun. Sein Ruf ist unerreicht.«
»Ja, ich erinnere mich an deine Bewunderung für ihn«, sagte Michael. Er wusste, dass Emily die intellektuellen Fähigkeiten des Mannes respektierte, und sie hatte auch Arno Holmstrand als Person gemocht. Michael hatte ihn ebenfalls mal getroffen, auf einem Empfang von Emilys Fakultät. Beim anschließenden Dinner hatte Michael Emily gestanden, dass der Professor ihn ungeheuer an seinen Großvater erinnere: ein Mann mit sanften Augen und respektabler Stirn, der die Welt gesehen hatte, aber nicht verbittert war. Doch nun erinnerte Michaels Tonfall daran, dass Emily durch Holmstrands Tod in etwas verwickelt worden war, das sie beide noch nicht erklären konnten. »Können berühmte Menschen nicht auch lügen?«, fragte Michael schließlich.
»Er war nicht einfach nur berühmt, Mikey«, antwortete Emily. »Er war eine weltweit anerkannte Koryphäe.« Arno Holmstrand hatte schon im Grundstudium ersten Ruhm in der akademischen Welt erworben. Einer Ausbildung in Yale war der Master in Harvard gefolgt, und Emily hatte gerüchteweise gehört, dass er seinen Abschluss in weniger als einem Jahr gemacht hatte. Gleichzeitig hatte Arno dann auch noch sein erstes Buch veröffentlicht: Crosskulturelle Dynamik – der Wissensfluss zwischen Afrika und dem Nahen Osten in der Spätklassik. Der Titel war zwar nicht gerade ein Reißer, doch das Buch war in der akademischen Gemeinde sofort zum Klassiker avanciert. Inzwischen war es jahrzehntealt; dennoch nutzte Emily es nach wie vor im Unterricht.
Doch nichts davon würde Michael beeindrucken; das wusste sie. Unter den gegebenen Umständen und angesichts von Michaels angeborener Kühnheit ließ er sich leichter für die abenteuerliche Seite von Arnos Arbeit begeistern. Und auch davon gab es jede Menge zu berichten.
»Wir reden hier von einem Mann, der sich seinen Ruhm schon bei der ersten Expedition erworben hat, die er mit der Universität von Cambridge unternommen hat«, erzählte sie voller Enthusiasmus. »Er war damals gerade mal Doktorand, und sein Team hat sich an Karten orientiert, die er selbst anhand von Informationen entworfen hatte, auf die er in der British Library gestoßen war. Sie haben nicht eine, sondern zwei Festungen in Nordafrika entdeckt, die sich beide auf die Regierungszeit von Ptolemäus dem Zweiten in Ägypten datieren ließen und schon seit Ewigkeiten im Sand verborgen waren.« Emily fand das furchtbar aufregend.
»Ist das derselbe Ptolemäus wie der mit der Bibliothek?«
»Ja, genau. Und als wäre das nicht genug, folgte auf diese Entdeckung eine ganze Reihe hollywoodreifer
Weitere Kostenlose Bücher