Die verlorene Bibliothek: Thriller
am Ort der Abgabe. Das alte Lagerhaus der Fischer lag abgelegen zwischen den Bäumen am Rand des Hafens, und nachdem er sichergestellt hatte, dass der Spind ordentlich verschlossen war, kehrte der Bibliothekar wieder in die Stadt zurück.
Für diesen Monat war seine noble Aufgabe erfüllt. Stolz erfüllte das Herz des Bibliothekars, denn er war Teil eines uralten Projekts, dessen Einzelheiten er nie erfahren würde.
KAPITEL DREIUNDZWANZIG
21:46 CST – I M F LUGZEUG ÜBER DEM S T . P AUL -M INNEAPOLIS I NTERNATIONAL A IRPORT
» Benutzen Sie Ihren historischen Verstand, Emily. « Mit dem Ratschlag, mit dem er seinen letzten Brief abgeschlossen hatte, hatte Holmstrand den Ball endgültig in Emilys Feld gespielt. Selbst im Angesicht des Todes war der Professor Lehrer geblieben und hatte von seiner Schülerin gefordert, die Antworten selbst zu suchen, anstatt sie ihr unverdient zu geben.
Und das ist verdammt ärgerlich , dachte Emily bei sich. Trotz ihrer Bewunderung für den Instinkt des Lehrers hätte sie es in diesem Fall vorgezogen, die Informationen, die sie brauchte, vorgekaut zu bekommen. Ihre Aufregung nahm zu, und der Mangel an konkreten Einzelheiten war schwer zu ertragen.
Der Flug von Minneapolis nach Heathrow würde sieben Stunden und vierzig Minuten dauern, vorausgesetzt, sie kamen nicht in Turbulenzen. So blieben Emily gut acht Stunden allein mit ihren Gedanken und voller Neugier auf das, was kommen würde. Als ein durchdringendes Surren verriet, dass das Fahrwerk eingezogen wurde, drückte Emily sich Arnos Briefe an die Brust. Diese Briefe verwandelten ihre Reise in etwas Einmaliges, Aufregendes. Was sie implizierten, war episch. Doch mit der Aufregung kam auch die Sorge. Emily hielt die Worte eines Toten in der Hand, Briefe eines Mordopfers, das vor noch nicht einmal vierundzwanzig Stunden gestorben war. Und die Angst, die sie früher am Tag schon einmal empfunden hatte, kehrte wieder zurück.
Beruhigen Sie sich, Frau Professor . Das hatte Emily sich seit dem Check-in immer wieder gesagt, doch das Herz schlug ihr noch immer bis zum Hals. Sie hatte noch nie etwas mit einem Mord zu tun gehabt, auch nicht über Umwege. Und sie hatte auch noch nie etwas so Mysteriöses unternommen wie ihre Reise jetzt. Emily öffnete die Briefe und las sie zum Gott weiß wievielten Male. Ihr Inhalt brannte sich in ihr fast fotografisches Gedächtnis; dann faltete sie die Seiten erneut zusammen und sah ihre Finger zittern.
»… werden wir bis auf fünfunddreißigtausend Fuß steigen …«, dröhnte eine sanfte männliche Stimme aus den Kabinenlautsprechern. Emily war viel zu abgelenkt gewesen, als dass sie die Erklärungen des Captains bis jetzt bemerkt hätte: »… und anschließend wird unsere Kabinencrew Sie mit Snacks und Erfrischungen versorgen.«
Das dauert viel zu lange. Emily brauchte etwas zu trinken – jetzt! Sie blendete den Rest der Pilotenansprache aus und dachte erneut über die seltsame Wendung nach, die ihr Tag genommen hatte.
Arno behauptete – und Emily musste sich ermahnen, dass es trotz der Umstände eben immer noch nur eine Behauptung war –, dass die Bibliothek von Alexandria nicht verloren war. Und Emily war sich nur allzu bewusst, dass das so ziemlich alles war, was der alte Professor ihr an Informationen gegeben hatte. Alles Weitere würde Emily allein herausfinden müssen.
Emilys Wissen über die Bibliothek von Alexandria war schlicht ein Nebenprodukt ihrer bisherigen Forschungen. Die wenigen bekannten historischen Fakten im Zusammenhang mit der Bibliothek fielen mit Emilys Interesse an griechisch-ägyptischer Geschichte zusammen, und so waren ihr die grundlegenden Erkenntnisse schon seit Jahren bekannt. Doch selbst für den interessiertesten Gelehrten waren diese Erkenntnisse bestenfalls vage und geheimnisvoll. Fast in jeder Einzelheit verschwamm die Grenze zwischen Legende und Realität, sodass man unmöglich etwas mit Bestimmtheit sagen konnte. Die meisten Akademiker beschäftigten sich höchstens im Vorübergehen damit, denn zu diesem Thema beruhte viel zu viel auf Hypothesen und Spekulation, und auf so etwas ließen sich Wissenschaftler nur selten ein. Historische Forschung sollte auf Fakten beruhen, und zur Bibliothek von Alexandria gab es diese Fakten kaum.
Die Bibliothek – oder präziser ausgedrückt: die Königliche Bibliothek von Alexandria – war angeblich von Ptolemäus dem Zweiten von Ägypten gegründet worden, dessen Vater unter Alexander dem Großen gedient und 305
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