Die verlorene Bibliothek: Thriller
den Augen verloren, im Gegenteil: Sie standen so kurz davor, es zu erreichen, wie noch nie.
Und Jason hatte nicht die Absicht zu versagen.
KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG
F LUGHAFEN H EATHROW , L ONDON – 11:34 U HR GMT
Wenige Augenblicke später setzten die hundertfünfzig Tonnen der Boeing 777 mit einem dumpfen Schlag auf und rissen Emily aus einem Schlaf, der mehr als überfällig gewesen war. Laut der geschulten Stimme, die durch die Kabine hallte, hatten sie 11:34 Uhr lokaler Zeit; es war teilweise bewölkt, und die Temperatur betrug dreizehn Grad Celsius.
Emily rieb sich den Schlaf aus den Augen, und die Ansage endete mit den Worten: »Und unseren amerikanischen Gästen wünschen wir ein schönes Thanksgiving in Großbritannien.«
KAPITEL SECHSUNDZWANZIG
L ONDON – 12:25 GMT
Professor Peter Wexler hatte den Jaguar S-Type gleich aus mehreren Gründen gewählt. Zum einen war er ein Fan von klassischem britischem Design, und das trotz Jaguars unglücklicher Historie nach dem Verkauf an Ford 1989 und später dann an die indische Firma Tata Motors, und zum anderen spiegelte der Wagen einfach ideal seinen Status wider: elegantes Finish, ein zeitloser Innenraum und genau die richtige Mischung von Luxus und Nüchternheit. Der Jaguar zeigte Klasse, war aber nicht pompös. In diesem Wagen fuhr Peter Wexler genauso gerne am Steuer wie im Fond, und das klassische Äußere des Fahrzeugs passte ganz hervorragend zu der klassischen Institution, an der er lehrte.
Die bordeauxrote Lackierung hatte jedoch seine Frau zu verantworten. Kein Universitätsprofessor, noch nicht einmal ein ordentlicher, verfügte über genügend Autorität, um bei Elizabeth Wexler das letzte Wort zu haben, und sie hatte ihrem Mann das Auto seiner Wahl nur unter der Bedingung genehmigt, dass sie Farbe und Innenausstattung aussuchen durfte. Deshalb war der Wagen nun also bordeauxrot, die Sitze mit cremefarbenem Leder bezogen und die Armaturen mit poliertem Eschenholz verziert.
Nun saß Peter Wexler also in dem, was er frustriert den ›Wagen meiner Frau‹ nannte, als Emily auf den Rücksitz stieg. Damit war nun auch der letzte Passagier eingeladen und der Wagen voll: Am Steuer saß der Fahrer, links neben ihm Wexler und hinten Emily neben einem jungen Mann, den sie nicht kannte.
»Willkommen zurück in England, Miss Wess«, begrüßte sie ihr ehemaliger Professor. Er war ehrlich erfreut, seine einstige Studentin wiederzusehen. Emily Wess war eine seiner besten gewesen und hatte scharfen Verstand sowie Kampfgeist bewiesen. Wexler bewunderte ihre Hartnäckigkeit ebenso sehr wie ihren Intellekt.
Er deutete auf den Mann neben Emily und fuhr fort: »Darf ich Ihnen Kyle Emory vorstellen, einen neuen Studenten von mir? Er versucht tapfer, in Ihre Fußstapfen zu treten.«
Der junge Mann lächelte und reichte Emily die Hand.
»Ich freue mich, Sie kennenzulernen.« Sein Griff war fest und voller Energie. Adrett, jung, höflich – der Mann hinterließ einen guten ersten Eindruck. Er war exzellentes Doktorandenmaterial, zumindest auf den ersten Blick.
»Er kommt auch aus den Kolonien«, fuhr der Professor fort, »aber aus einer, die wenigstens so anständig war, die Krone auf ihren Münzen zu belassen.«
»Ich bin Kanadier«, stellte Kyle klar. »Ich komme aus Vancouver.«
»Also keiner von euch Rebellen da drüben«, neckte Wexler Emily, seinen amerikanischen Schützling, weiter. Emily war schon immer empfänglich für seine Neigung gewesen, bei jeder sich bietenden Gelegenheit die kulturelle Überlegenheit Großbritanniens zu betonen, und als Folge davon hatte Wexler stets besonders dick aufgetragen, wenn sie in der Nähe war. »Die Kanadier, also das nenne ich mal ein Volk, das weiß, was gut für es ist!«
»Das würden Sie von jedem Volk sagen, das noch immer die Queen auf seinen Banknoten hat und Pferde für den letzten Schrei im Polizeidienst hält«, schoss Emily zurück.
»In der Tat, in der Tat. Horse Guards, Mounties … All das sind altehrwürdige Traditionen, Madam. Nicht so ein Unsinn wie das, worauf Sie und Ihre fünfzig Stämme so sehr stehen. Wie Ihnen vielleicht schon aufgefallen ist, heißt es heute in den Nachrichten nicht, dass der kanadische Präsident sich im Nahen Osten wie ein Elefant im Porzellanladen benimmt. Es ist stets nur von Ihrem Präsidenten die Rede.« Er deutete auf das Autoradio, wo gerade die Nachrichten liefen.
Kyle biss sich auf die Zunge. Den Professor darauf hinzuweisen, dass Kanada nur einen Premierminister
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