Die verlorene Bibliothek: Thriller
liegt in der Luft, und er – wir – sind fest entschlossen, unser Regierungssystem nicht davon infizieren zu lassen; der Präsident hat schon genug angerichtet.«
Bei diesen Worten straffte Hines die Schultern.
»Das freut mich zu hören«, erwiderte er im typischen, emotionslosen Tonfall eines Politikers. »Ich habe nichts zu verbergen.«
»Jawohl, Sir. Das haben auch unsere Ermittlungen ergeben – bis jetzt.«
»Und meine Hauptberater in außenpolitischen Fragen kommen aus den Reihen von Westerberg, Alhauser und Krefft. Wenn Sie die überprüft haben, dann wissen Sie, dass sie berühmt dafür sind, bei ihren Geschäften im Ausland stets auf Transparenz zu achten. Die Westerberg Foundation hat sogar …«
»Ja«, unterbrach Whitley ihn, »sie hat im Kongress darauf gedrängt, die Wiederaufbaumaßnahmen per Gesetz so transparent wie möglich zu gestalten. Wir haben ihren Hintergrund überprüft. Sie haben sich schon vor langer Zeit öffentlich genau gegen die Art von Deals positioniert, die Präsident Tratham jetzt in Schwierigkeiten gebracht haben.«
Vizepräsident Hines nickte. Er war sich ziemlich sicher, dass man selbst bei genauester Prüfung keinen Fleck auf der weißen Weste von Westerberg finden würde.
»So«, fuhr Whitley fort, »solange Sie nicht doch noch eine Leiche im Keller haben …« Er ließ den Satz unvollendet.
»Habe ich nicht«, erklärte Hines mit fester Stimme. Zumindest keine, die du je finden wirst.
»Dann sollten Sie sich lieber vorbereiten, Mr Vice President«, erklärte der Direktor des Secret Service. »Noch vor Ende der Woche wird das ›Vize‹ nicht mehr Teil Ihres Titels sein.«
KAPITEL VIERUNDSECHZIG
A LEXANDRIA – 12:02 U HR
Emily musste eine Geschichte verarbeiten, die viel von dem geradezu auf den Kopf stellte, was sie je gelernt hatte. Und neben all den Details, mit denen Athanasius sie geradezu bombardiert hatte, waren da auch ein, vielleicht sogar zwei Morde und ein Bombenanschlag … Das war schlicht mehr, als sie verdauen konnte. Emily hatte es noch nie erlebt, dass Aufregung so mit Angst vermischt war, dass sie beides kaum noch voneinander unterscheiden konnte.
»Ihre Gesellschaft«, platzte sie heraus, »widmet sich also der Fortführung der alten Bibliotheksarbeit, ja? Sie suchen Material und fügen es dieser verborgenen Sammlung hinzu, korrekt?«
»Teilweise«, antwortete der Ägypter. »Als Einzelpersonen ist es die Aufgabe von uns Bibliothekaren, Informationen zu sammeln – so wie es die Bibliothekare in Alexandria seit eh und je getan haben –, und im Laufe der Jahrhunderte haben wir uns über die ganze Welt verteilt. Doch die Gesellschaft als Ganzes hat auch eine taktische Mission.«
»Taktisch?« Die Bemerkung überraschte Emily. In einer Diskussion über Bücher, Wissen und Dokumente wirkte das Wort irgendwie fehl am Platze.
»Sie müssen verstehen«, fuhr Athanasius fort, »dass die Bibliothek schon seit langem nicht mehr nur ein Lagerort für Wissen ist, sondern eine aktive Macht in der Welt. Bereits im 1. Jahrhundert spielte sie eine große Rolle in der Weltgeschichte. Wenn die richtigen Leute zur richtigen Zeit mit den richtigen Informationen gefüttert werden, dann dient das nur dem Wohle der Menschen. Unsere Gesellschaft bewahrt die Bibliothek nicht nur; sie setzt sie auch ein.«
Emily ließ sich auf dem Stuhl zurücksinken. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Das fügte der Geschichte der Bibliothek von Alexandria eine ganz neue Dimension hinzu. In der Bibliothek waren nicht nur Informationen über die Weltgeschichte gesammelt worden; sie hatte sie mitgestaltet!
»Wie weit ging das?«, fragte sie schließlich. »Wie stark hat die Gesellschaft die Welt mit ihren Informationen beeinflusst?«
»Das hat variiert. War die Situation ideal, haben wir nie eine allzu große Rolle gespielt. Aber was ist in der Geschichte schon ideal?«
»Werden Sie mal ein wenig genauer«, forderte Emily ihn mit neu gewonnenem Selbstvertrauen auf. Ihr Puls ging immer schneller. Sie wusste nicht, was sie von dieser neuen Enthüllung halten sollte.
Athanasius hob die Augenbrauen, gehorchte aber.
»Nero.«
»Nero?«
»Einer der schlimmsten römischen Kaiser der Geschichte. Sie und der Rest der Welt kennen ihn vor allem als Irren, der beim Brand von Rom auf der Leier gespielt hat, doch was er wirklich alles getan hat, haben die Leute um ihn herum stets verborgen. Das Reich hat gelitten, und die Menschen wussten noch nicht einmal, dass ihr Herrscher der
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