Die verlorene Ehre der Katharina Blum
Mittwoch bekanntgeworden waren. »So
was am Anfang der frohen Tage, und Stimmung und Geschäft sind hin. Wenn
herauskommt, daß Verkleidungen zu kriminellen Taten mißbraucht werden, ist
die Stimmung sofort hin und das Geschäft versaut. Das sind echte Sakrilege.
Ausgelassenheit und Frohsinn brauchen Vertrauen, das ist ihre Basis.«
6.
Ziemlich merkwürdig verhielt sich die ZEITUNG, nachdem die beiden Morde
an ihren Journalisten bekannt wurden. Irrsinnige Aufregung! Schlagzeilen.
Titelblätter. Sonderausgaben. Todesanzeigen überdimensionalen Ausmaßes. Als
ob – wenn schon auf der Welt geschossen wird – der Mord an einem Journalisten
etwas Besonderes wäre, wichtiger etwa als der Mord an einem Bankdirektor,
-angestellten oder -räuber. Diese Tatsache der Über-Aufmerksamkeit der
Presse muß hier vermerkt werden, weil nicht nur die ZEITUNG, auch andere
Zeitungen tatsächlich den Mord an einem Journalisten als etwas besonders
Schlimmes, Schreckliches, fast Feierliches, man könnte fast sagen wie einen
Ritualmord behandelten. Es wurde sogar von »Opfer seines Berufes« gesprochen,
und natürlich hielt die ZEITUNG selbst hartnäckig an der Version fest, auch
Schönner wäre ein Opfer der Blum, und wenn man auch zugeben muß, daß
Tötges wahrscheinlich nicht erschossen worden wäre, wäre er nicht Journalist
geworden (sondern etwa Schuhmacher oder Bäcker), so hätte man doch
herauszufinden versuchen sollen, ob man nicht besser von beruflich bedingtem
Tod hätte sprechen müssen, denn es wird ja noch geklärt werden, warum eine
so kluge und fast kühle Person wie die Blum den Mord nicht nur plante, auch
ausführte und im entscheidenden, von ihr herbeigeführten Augenblick nicht nur
zur Pistole griff, sondern diese auch in Tätigkeit setzte.
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7.
Gehen wir von diesem äußerst niedrigen Niveau sofort wieder auf höhere
Ebenen. Weg mit dem Blut. Vergessen sein soll die Aufregung der Presse. Die
Wohnung der Katharina Blum ist inzwischen gesäubert, die unbrauchbar
gewordenen Teppiche sind auf dem Abfall gelandet, die Möbel abgewischt und
zurechtgerückt, das alles auf Kosten und Veranlassung von Dr. Blorna, der sich
dazu durch seinen Freund Hach bevollmächtigen ließ, wenn auch noch lange
nicht sicher ist, daß Blorna der Vermögensverwalter sein wird.
Immerhin hat diese Katharina Blum innerhalb von fünf Jahren in eine
Eigentumswohnung im Wert von insgesamt einhunderttausend Mark
siebzigtausend bar investiert, es gibt da also – wie ihr Bruder, der zur Zeit
eine geringfügige Freiheitsstrafe abbüßt – es ausdrückte, was »Handfestes
abzustauben«. Aber wer käme dann für die Zinsen und die Amortisation der
restlichen dreißigtausend Mark auf, und wenn man auch eine nicht unerhebliche
Wertsteigerung einkalkulieren muß. Es bleiben nicht nur Akt- auch Passiva.
Tötges immerhin ist längst beerdigt (mit einem unangemessenen Aufwand,
wie manche Leute festgestellt haben). Schönners Tod und Beerdigung sind
merkwürdigerweise nicht mit solcher Aufmachung und Aufmerksamkeit
betrieben und bemerkt worden. Warum wohl? Weil er kein »Opfer seines
Berufes« war, sondern wahrscheinlicher das Opfer eines Eifersuchtsdramas?
Das Scheichkostüm ist in der Asservatenkammer, auch die Pistole (eine
), über deren Herkunft nur Blorna Bescheid weiß, während Polizei und
Staatsanwaltschaft sic h vergeblich bemüht haben, dies herauszufinden.
8.
Die Recherchen über die Aktivitäten der Blum während der fraglichen vier
Tage ließen sich für die ersten Tage gut an, stockten erst, als es den Sonntag zu
erkunden galt.
Blorna selbst hatte Katharina Blum am Mittwochnachmittag zwei volle
Wochenlöhne in Höhe von je DM ausgezahlt, einen für die laufende Woche,
den zweiten für die folgende Woche, da er selbst am Mittwochnachmittag mit
seiner Frau in den Winterurlaub fuhr. Katharina hatte den Blornas nicht nur
versprochen, sondern geradezu geschworen, daß sie endlich einmal Urlaub
machen und sich über Karneval amüsieren wolle und nicht, wie in all den Jahren
davor, ins Saisongeschäft gehen würde. Sie hatte den Blornas freudig mitgeteilt,
daß sie für den Abend zu einem privaten kleinen Hausball bei ihrer Patentante,
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Freundin und Vertrauten Else Woltersheim eingeladen sei und sich sehr darauf
freue, sie habe so lange keine Gelegenheit mehr
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