Die verlorene Ehre der Katharina Blum
Fehnern immer frische Wäsche ins Untersuchungsgefängnis, auch zu essen,
besonders Ardennenpastete, die ich beim Metzger Gerbers in Kuir herzustellen
gelernt hatte. Später wurde die Praxis geschlossen, das Haus beschlagnahmt, ich
mußte mein Zimmer räumen. Herrn Dr. Fehnern hatte man anscheinend auch
Unterschlagung und Fälschung nachgewiesen, und er kam richtig ins Gefängnis,
wo ich ihn auch weiterhin besuchte. Ich wollte ihm auch die zwei Monatsgehälter
zurückgeben, die ich ihm noch schuldete. Er verbat sich das regelrecht. Ich fand
sehr rasch eine Stelle bei dem Ehepaar Dr. Blorna, die ich durch Herrn Fehnern
kennengelernt hatte.
Blornas bewohnen einen Bungalow in der Parksiedlung Südstadt. Obwohl mir
dort Wohnung geboten wurde, lehnte ich ab, ich wollte endlich unabhängig sein
und meinen Beruf mehr freiberuflich ausüben. Das Ehepaar Blorna war sehr gütig
zu mir. Frau Dr. Blorna verhalf mir – sie arbeitet in einem großen Architekturbüro
– zu meiner Eigentumswohnung in der Satellitenstadt im Süden, die unter dem
Motto ›Elegant am Strom wohnen‹ angezeigt wurde. Herr Dr. Blorna war in
seiner Eigenschaft als Industrieanwalt, Frau Dr. Blorna in ihrer Eigenschaft als
Architektin mit dem Projekt vertraut. Ich berechnete mit Herrn Dr. Blorna die
Finanzierung, Verzinsung und Armortisation eines Zwei-Zimmer-Küche-Bad-
Appartements im . Stock, und da ich inzwischen Ersparnisse in Höhe von
DM hatte zurücklegen können, und das Ehepaar Blorna für einen Kredit in
Höhe von DM bürgte, konnte ich schon Anfang in meine Wohnung
einziehen. Meine monatliche Mindestbelastung betrug zu Beginn etwa DM,
da aber das Ehepaar Blorna meine Verpflegung nicht berechnete, Frau Blorna mir
sogar noch jeden Tag etwas zum Essen und Trinken zusteckte, konnte ich sehr
sparsam leben und meinen Kredit rascher amortisieren als anfänglich berechnet
war. Ich führe seit vier Jahren die Wirtschaft und den Haushalt dort selbständig,
meine Arbeitszeit beginnt um sieben Uhr morgens und endet nachmittags gegen
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Heinrich Böll
Die verlorene Ehre der Katharina Blum
sechzehn Uhr dreißig, wenn ich mit den Haus- und Reinigungsarbeiten, dem
Einkaufen, den Vorbereitungen für das Abendessen fertig bin. Ich besorge auch
die gesamte Wäsche des Haushalts. Zwischen sechzehn Uhr dreißig und siebzehn
Uhr dreißig kümmere ich mich um meinen eigenen Haushalt und arbeite dann
gewöhnlich noch eineinhalb bis zwei Stunden bei dem Rentnerehepaar Hiepertz.
Samstagsund Sonntagsarbeit bekomme ich bei beiden gesondert bezahlt. In
meiner freien Zeit arbeite ich gelegentlich beim Traiteur Kloft, oder ich helfe
bei Empfängen, Parties, Hochzeiten, Gesellschaften, Bällen, meistens als frei
angeworbene Wirtschafterin auf Pauschale und eigenes Risiko, manchmal auch
im Auftrag der Firma Kloft. Ich arbeite in der Kalkulation, der organisatorischen
Planung, gelegentlich auch als Köchin oder Serviererin. Meine Bruttoeinnahmen
betragen im Durchschnitt bis Mark im Monat. Dem Finanzamt
gegenüber gelte ich als freiberuflich. Ich zahle meine Steuern und Versicherungen
selbst. Alle diese Dinge … Steuererklärung etc. werden kostenlos für mich durch
das Büro Blorna erledigt. Seit dem Frühjahr besitze ich einen Volkswagen,
Baujahr , den mir der bei der Firma Kloft beschäftigte Koch Werner Klormer
günstig überließ. Es wurde für mich zu schwierig, die verschiedenen und auch
wechselnden Arbeitsplätze mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen.
Mit dem Auto wurde ich auch beweglich genug, auf Empfängen und bei
Festlichkeiten mitzuarbeiten, die in weiter entfernt liegenden Hotels abgehalten
wurden.«
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Es dauerte von . bis . Uhr, und nach einer Unterbrechung von
einer Stunde, von . bis . Uhr, bevor dieser Teil der Vernehmung
abgeschlossen war. In der Mittagspause weigerte sich die Blum, Kaffee und
Käsebrote von der Polizeiverwaltung anzunehmen, und auch das intensive
Zureden der ihr offensichtlich wohlwollenden Frau Pletzer und des Assistenten
Moeding konnten an ihrer Haltung nichts ändern. Es war ihr – wie Hach
erzählte – offenbar unmöglich, das Dienstliche vom Privaten zu trennen, die
Notwendigkeit der Vernehmung einzusehen. Als Beizmenne, der sich Kaffee
und Brote schmecken ließ und mit geöffnetem Kragen und
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