Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Martin
Vom Netzwerk:
sich erneut ein Taxi, um sie alle zu treffen. Am Weingut angekommen, lenkte das Klappern von Geschirr seine Schritte. In der Küche traf er auf seine Nichte, die eben die Hände in den Rücken stützte und dann eine Hand auf ihren Bauch legte. War sie schwanger? Er meinte, ein Bäuchlein zu erkennen, wissen konnte er es natürlich nicht, und Ann war damals bis zum Schluss sehr schlank geblieben …
    John holte tief Luft und verbot sich, weiter an seine Frau zu denken. Er hatte zu viele Jahre damit verbracht, an sie zu denken, und darüber so viel anderes vergessen. Judy. Claire. Das Leben … Er lächelte die junge Frau an.
    Was hatte Claire gestern noch gesagt, wie sie hieß? Lyanne? Lynne? Nein, Lea …
    »Good morning, Lea«, grüßte er sie.
    Sie, die wohl gerade damit beschäftigt gewesen war, Kaffee aufzugießen, schaute auf. Brötchen warteten bereits, dazu Marmelade und Butter und sogar ein Teller mit Aufschnitt – ein deutsches Frühstück also.
    »Hi, John!«
    Er zögerte, streckte ihr dann die Hand hin.
    »Nice to meet you.«
    »Ja. Yes.«
    Sie starrte ihn an, wusste offenbar nicht, was sie nun sagen sollte.
    »Darf ich?«, fragte er endlich, immer noch auf Englisch, und deutete auf Brötchen und Marmelade. »Ich habe schrecklichen Hunger.«
    »Natürlich.«
    Er schmierte sich ein Brötchen und biss hinein. Liebe Güte, er hatte ewig schon nicht mehr solchen Hunger gehabt.
    Nachdem der Kaffee durchgelaufen war, setzte sich seine Nichte zu ihm an den Tisch und nahm sich ebenfalls ein Brötchen. Ihre Lippen bewegten sich. Offenbar suchte sie nach Worten.
    »Sie haben eine wundervolle Tochter«, sagte sie dann.
    John lächelte.
    »Wo ist ihre Mutter?«, fuhr Lea fort, und das angenehme Gefühl verflüchtigte sich von einem Moment auf den ande ren. John musste alle Kraft zusammennehmen, um zu antworten.
    »Ann ist tot.«
    »Oh«, Lea schaute betreten drein, »das wusste ich nicht.«
    Nein, dachte er, warum sollten sie darüber geredet haben? Seine Mutter konnte ja recht schweigsam sein. Er beispielsweise wusste gar nichts über ihr Leben in Deutschland, genauso wenig, wie er wusste, warum sie nach Australien gekommen war. Sie hatte nie davon gesprochen. Eigentlich unglaublich, sie hatte ihm verschwiegen, dass sie schon einmal eine Familie gehabt hatte, ein Kind, ein ganzes Leben.
    Jemand stieß die Tür hinter ihnen so heftig auf, dass sie gegen die Wand rummste. Lea und er drehten sich in die Richtung des Geräuschs und sahen Claire, die ein Tablett manövrierte.
    »Judy und ich haben gemeinsam gefrühstückt«, sagte sie und lachte.
    Was hat sie uns wohl noch verschwiegen?, fragte sich John verzweifelt. In Anbetracht dessen, was sie bisher schon für sich behalten hatte, schien alles möglich. Der Gedanke ließ ihm die Brust eng werden. Die Ereignisse, die ganze Anspannung der letzten Tage brach mit einem Mal über ihm zusammen. Unvermittelt sprang er auf und stürmte zur Tür. Claire konnte ihm gerade noch ausweichen.
    »John!«, rief sie hinter ihm her, während das Lachen schlagartig aus ihrem Gesicht wich.
    Er hörte nicht. Er wollte nicht hören.
    »Was habe ich denn gemacht?«, stotterte Lea.
    »John, bleib stehen.«
    Claire wollte ihre Schritte beschleunigen, aber sie konnte es nicht. Sie war ihrem Sohn aus dem Haus und über den Hof gefolgt, aber sie war eine alte Frau. Sie konnte niemandem mehr nachlaufen, der so viel jünger und so viel kräftiger war als sie selbst. John hatte den Hof inzwischen verlassen und rannte nun geradezu in Richtung des Hügels davon.
    Für einen Moment hatte Claire ein verwirrendes Bild von John vor Augen, wie er hinter dem Hügel und damit aus ihrem Blick verschwand. Für immer. Dann sah sie alles noch einmal aus der anderen Perspektive, sah sich auf den Hügel zugehen, sah sich dahinter verschwinden, sah eine viel jüngere Claire, die noch einmal versuchte, sich umzudrehen, um das Haus zu sehen, und die von zwei Männern daran gehindert wurde.
    Sie hatte jetzt das Tor erreicht und hielt sich mit einer Hand fest. Ihr Herz klopfte wild. Es sollte nicht so klopfen, dachte sie, es war ihr, als fühle sie jeden einzelnen Schlag im Hals, doch es wollte ihr nicht gelingen, ruhiger zu atmen.
    »John«, krächzte sie, dann nahm sie alle Kraft zusammen. »John!«, rief sie lauter.
    Jetzt blieb er endlich stehen. Sie sah, wie sich sein Rücken vorübergehend straffte, wie die Schultern dann jäh nach vorne sanken. Dann drehte er sich um. Auf die Entfernung konnte sie seinen

Weitere Kostenlose Bücher