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Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Martin
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zog sie die Decke noch etwas höher, spürte den plötzlich so rauen Stoff über ihre nackte Haut streifen. Der Geruch von Schweiß, Parfum, Seife und Tabak vermengte sich mit einem Mal zu einem Gemisch, das ihr den Atem nehmen wollte. Das war also ihre Hochzeitsnacht.
    Sie sah zu, wie Wilhelm das Gaslicht etwas herunterdrehte. Sein Schatten tanzte über die Wände. Das Ende der Zigarette glühte jedes Mal auf, wenn er einen neuen Zug nahm. Sein Blick blieb die ganze Zeit auf sie gerichtet, doch er sprach kein Wort. Irgendwann wanderten Claires Gedanken weg. Als sie endlich wieder seine Stimme hörte – sie konnte nicht mehr sagen, wie viel Zeit vergangen war –, zuckte sie zusammen.
    »Es ist vielleicht etwas verfrüht, jetzt damit herauszuplatzen, Liebes«, sagte er, »aber irgendwann wirst du es ohnehin erfahren, also was soll’s. Die heutigen Lieferanten müssen noch bezahlt werden. Würdest du bitte deinem Vater dementsprechend telegrafieren?«
    Claire starrte ihren Mann aus weit aufgerissenen Augen an. Das war keine Frage, das war ein Befehl.
    »Aber wie«, stotterte sie, »wie soll ich …?«
    »Ach, Kleines«, antwortete Wilhelm liebenswürdig, »dir wird schon etwas einfallen. Du bist doch meine Frau.«
    Sie ahnte nicht, dass das, was als Nächstes geschah, sie für lange, lange Zeit in ihren schlimmsten Träumen verfolgen würde.

F ünftes Kapitel
    Der Sarg wartete in der Leichenhalle auf seine einzigen Trauergäste. Als Claire die letzten Schritte auf ihn zu trat, wurden ihr die Knie weich. Nun stand sie direkt davor, mit trockenen, brennenden Augen, doch sosehr sie auch hätte weinen mögen, sie hatte längst alle Tränen geweint.
    Carl Mylius war tot. Ihr geliebter Vater. Man hatte ihr Telegramm nicht bei ihm gefunden, als man die Kleidung des Verunglückten durchsucht hatte, doch Claire war fest davon überzeugt, dass sie Schuld an seinem Tod trug.
    Nicht zum ersten Mal dachte sie an den Tag, der auf die Hochzeit gefolgt war, jenen Tag, an dem sie mit Wilhelms Hilfe – sie konnte ihn einfach nicht mehr Will nennen – das Telegramm formuliert hatte. Weil sie sich, wie es ihr Mann ausgedrückt hatte, doch zu dämlich anstellte.
    Ihr Vater musste beinahe sofort nach dessen Erhalt aus der Schweiz abgereist sein. Er hatte seine Kur abgebrochen, war in die Frankfurter Wohnung der Familie zurückgekehrt. Sicherlich hatte er sie noch besuchen wollen. Am Morgen des Unfalls war er noch im Geschäft gewesen und hatte Herrn Lohse davon erzählt. Wenig später war er mit den Worten, dass er sich nicht gut fühle, nach Hause gegangen. Herr Lohse berichtete später, der Chef habe müde und abwesend gewirkt. Am geöffneten Fenster der Wohnung der Familie Mylius im dritten Stock musste er wenig später den Schwächeanfall erlitten haben, hatte den Halt verloren und war ungebremst auf das mehrere Stockwerke tiefer liegende Pflaster gestürzt. Er war sofort tot gewesen.
    Es ist meine Schuld. Wie soll ich nur ohne ihn leben, wie nur? Wie soll ich damit leben?
    Ein-, zweimal holte sie tief Atem, dann drehte sie sich zu ihrer Mutter um. Wilhelm und sie hatten die Flitterwochen sofort abgebrochen, als man sie von dem Unglück unterrichtet hatte. Claire erinnerte sich, in der Lobby des Pariser Hotels gestanden zu haben, einen Mann von Welt an ihrer Seite. Wilhelm hatte die Reise sichtlich genossen. Er hatte ihr Kleider kaufen wollen, von denen sie längst wusste, dass er sie nicht bezahlen konnte, Schuhe, Parfums, Hüte.
    »Was muss noch geklärt werden?«, fragte sie nun ihre Mutter und bemühte sich, einen geschäftsmäßigen Ton anzuschlagen, hinter dem sie ihren Schmerz verbergen konnte.
    Aurelia zuckte die Achseln. »Nun«, sagte sie dann seltsam schnippisch, »ob der Pfarrer zur Beerdigung kommt oder ob er so verscharrt wird, nehme ich an.«
    Das Schnippische hatte einen bitteren Nachhall. Claire schaute ihre Mutter verständnislos an.
    »Was meinst du damit?«
    »Damit sage ich, dass nicht eindeutig ist, was überhaupt passiert ist.«
    Claire fröstelte. »Aber es hieß, ihm sei schwindlig gewesen, und er sei daraufhin aus dem Fenster gestürzt.«
    Knapp vor Frau Mutschkes Füße, fügte sie stumm hinzu. Die alte Dame hatte einen Schock erlitten, aber Glück im Unglück gehabt.
    »Wir wissen doch alle, dass es ihm schon lange nicht gut ging«, fügte sie nach einem weiteren tiefen Atemzug hinzu. »Er war krank, oder etwa nicht? Deshalb war er ja auch in Kur.«
    »Und ist deinetwegen zurückgekommen, aber wem sage

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