Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Martin
Vom Netzwerk:
setzten die Tänze ein. Mutter wurde von Herrn Neuberger senior aufgefordert. Frau Neuberger blickte hoheitsvoll in die Runde. Claire fühlte sich von der Pracht der Ausstattung immer noch schier geblendet. Die Neubergers und ihre Eltern hatten wahrlich keine Kosten gescheut.
    Nach vier Tänzen war ihr so heiß, dass sie sich zurückzog, um sich die Nase zu pudern. Nachdenklich betrachtete sie sich im Spiegel, hielt Wilhelms teuren Ring ins Licht und erfreute sich an seinem Glanz. Frau Wilhelm Neuberger, sagte sie zu sich, ich bin Frau Wilhelm Neuberger.
    Ihr Leben fühlte sich richtig an, bis zu dem Moment, an dem Johanne zu ihr stieß. Claire erkannte Johannes Schritte, bevor diese im Türrahmen auftauchte. In ihrem Abendkleid mit seinen wasserfallartigen Garnierungen und dem entgegen der neuen Mode immer noch recht tiefen Rückenausschnitt strahlte sie einen Hauch von Provokation aus. Sie hatte sich auch am Hochzeitstag nicht ordentlicher kleiden wollen, wie Frau Neuberger im Verlauf des Tages einmal pikiert bemerkt hatte. Nun stand sie da, den Pagenkopf vom Tanzen zerzaust, die Augen dunkel, die Wimpernbögen dünn und im Halbrund gebogen, die Lippen blutrot geschminkt, und zögerte.
    »Du Ärmste«, sagte sie dann, »dass er dich rumgekriegt hat, mein armes Häschen, verflixt und zugenäht, dass er dich rumgekriegt hat. Ich hätte doch besser aufpassen müssen.«
    Claire, die Johanne bisher nur über den Spiegel beobachtet hatte, fuhr auf dem Fuß herum. »Wie meinst du das?«
    Johanne runzelte die Stirn. Jetzt machte sie einen betretenen Eindruck, als sei sie zu schnell nach vorne geprescht. Hatte sie nicht selbst gesagt, dass ihr Mundwerk manchmal schneller war als ihr Kopf, versuchte Claire sich zu beruhigen. Es dauerte eine Weile, bis Johanne wieder sprach.
    »Es tut mir leid«, sagte sie, »das wollte ich eigentlich gar nicht sagen. Ach, am besten, du vergisst es einfach. Du weißt doch, dass ich oft zu viel rede, ich altes Plappermaul. Du bist wirklich eine wunderschöne Braut.«
    Claire errötete. Vor Kurzem hatte Johanne gesagt, dass ihre Schönheit etwas Beiläufiges habe, etwas, was sich nicht auf den ersten Blick enthülle, einen dann aber umso tiefer berühre. Sie schaute die Freundin einen Moment lang prüfend an und entschied sich dann, nicht weiter über das Gesagte zu grübeln. Sie grübelte ohnehin zu viel.
    Es ist doch ein schöner Tag, hatte sie bei sich gedacht, ich darf mir jetzt keine unnötigen Gedanken machen. Ich bin verheiratet. Vater und Mutter sind stolz auf mich.
    Johanne bot ihr den Arm.
    »Komm, wir mischen uns wieder unter die Gäste. Sie vermissen die Braut sicherlich schon.«
    Claire seufzte, gab aber keine Antwort. Es war nur ein Gedanke, der aufgeblitzt war, einer der vielen Gedanken, die sich nicht verdrängen ließen: Nachdem die Trauung und all das vorüber war, bezweifelte sie, dass sie irgendjemand vermisste. Ihr Mann und seine Familie gewiss nicht. Auch ihre eigene Mutter nicht. Für Aurelia hatte sie ihren Zweck für heute erfüllt.
    Wilhelm war mit einem tiefen Schnaufen auf Claire zusammengesunken, dann rollte er sich zur Seite, saß endlich auf dem Bettrand. Claire starrte seinen nackten Rücken an.
    Mein Mann. Ach, wie seltsam sich das anhört, dachte sie.
    Breite Schultern, schmale Hüften; sie bemerkte jetzt einige verstreute Sommersprossen auf seinen Schultern. Aus einem Muttermal unter seinem rechten Schulterblatt wuchs ein Haar. Das war ihr vorher im Schwimmbad nie aufgefallen, und sie fragte sich, was es wohl noch an ihrem Mann zu entdecken gab.
    Als er aufstand, ließ sie der Blick auf sein kleines, festes Hinterteil erröten. Mit großer Selbstverständlichkeit bewegte Will sich nackt durch den Raum – er hatte ihr einmal gesagt, dass er Anhänger der sogenannten Freikörperkultur war –, nahm sein Jackett von einem der Stühle und holte das silberne Zigarettenetui hervor.
    Noch während er sich setzte, zupfte er eine Zigarette hervor, klopfte sie dann mit der Spitze auf dem Tischchen auf, neben dem er stand, entzündete sie und rauchte einige Züge, bevor er wieder zu ihr hinsah.
    Claire kam es jetzt vor, als beobachte er sie. Hatte sie sich so dumm angestellt? Hatte sie ihn enttäuscht? Verunsichert zog sie die Decke über die eigene Blöße und kam sich doch weiterhin nackt und verletzlich vor. Aber sie hatte einfach nicht gewusst, was sie tun sollte. Sie hatte ja keine Vorstellung davon gehabt, was man in der Hochzeitsnacht genau machte. Unschlüssig

Weitere Kostenlose Bücher