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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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gehen und verhungern. (…) Unsere Pferde fressen nur Stroh und sehen aus wie die Kühe.« Und er ergänzt am 5. November: »Nur die Kosaken bringen es fertig, stets lebendig und lustig zu sein. Wir anderen haben eine rechte Mühe, uns hinter den Fliehenden hinzuschleppen; unsere Pferde, die keine Eisen mehr haben, gleiten jeden Augenblick auf dem glatten Boden aus und fallen hin, um nicht mehr aufzustehen.«
    Stabsoffizier Friedrich von Schubert berichtet von der Zunahme an Typhus-Kranken in der russischen Armee: »Unsere Armee fing sehr zu leiden an; die Zahl der Kranken nahm erstaunlich zu. (…) Doch wie wenige überstehen den Typhus!«

16. DER RECHTE UND DER LINKE FLÜGEL
    Während der größere Teil der Grande Armée unter der persönlichen Führung Napoleons im Juni 1812 die russische Grenze überschritten hatte, bildeten drei Armeekorps den linken und zwei den rechten Flügel. Im Norden hatte das 10. Armeekorps unter Marschall Alexandre Macdonald bei Tilsit russischen Boden betreten; das 2. Armeekorps unter Marschall Nicolas-Charles Oudinot und das 6. unter General Gouvion Saint-Cyr marschierten zwischen dem 10. Korps und der Hauptarmee in Richtung Düna. Im Süden Weißrußlands sicherte das 7. Armeekorps unter General Jean-Louis Reynier und ein österreichisches Hilfskorps unter dem Kommando von Fürst Schwarzenberg das Herzogtum Warschau.
    Macdonalds Korps bestand überwiegend aus jenem 20 519 Soldaten zählenden preußischen Hilfskorps, das zu stellen Napoleon vom preußischen König verlangt hatte. Dazu kam die vor allem aus Polen bestehende 7. Division mit 11 164 Mann. Obwohl zum Bündnis gezwungen, marschierten die Preußen nicht widerwillig, wenn es ihnen auch gegen den Strich ging, für die Interessen ihres Todfeinds kämpfen zu müssen. Man hatte den russischen Waffengefährten von 1807 nie ganz verziehen, aus dem gemeinsam geführten Krieg gegen Frankreich mit einem Separatfrieden (gegen das gegebene Wort) ausgeschieden zu sein. Vor allem aber verlangte es die soldatische Ehre, den Russen zu zeigen, was preußische Truppen vermochten.
    Macdonalds Aufgabe war, Riga zu erobern, Rußlands wichtigsten Ostseehafen, und dann Petersburg zu bedrohen. BeiEckau wurden die Russen am 19. Juli geschlagen, am 24. Juli begann die Belagerung Rigas. Doch gelang es den Russen am 22. August bei Dahlenkirchen, 14 Kilometer südöstlich von Riga, die Preußen zu besiegen. Zwar stießen die Russen danach nicht vor, doch Macdonald begriff, daß an eine Eroberung Rigas nicht zu denken sein würde. In der Stadt befand sich eine Besatzung von 19000 Soldaten unter dem Kommando des Generals Magnus von Essen, der die Zerstörung der Vorstädte mit 750 Gebäuden anordnete, um seiner Artillerie freies Schußfeld zu schaffen. Für das völlige Einschließen der gutbefestigten Stadt waren Macdonalds Kräfte nicht ausreichend. Zudem konnten die Russen nach dem mit Schweden geschlossenen »Frieden von Åbo« ihre Truppen von der finnischen Front abziehen; in der zweiten Septemberhälfte trafen auf dem Seeweg zusätzliche 21000 Soldaten in Riga ein. Beide Seiten gingen daraufhin zu einem Stellungskrieg über. So entstand im Baltikum eine ruhige, fast entspannte Lage, wie man dem Brief eines preußischen Offiziers entnehmen kann.
    Friedrich Wilhelm Magnus von Eberhardt, 21 Jahre alt, war Leutnant in der 2. Brigade der 28. Division. Er hat seiner Mutter regelmäßig Briefe geschrieben, die ein anschauliches Bild vermitteln. Wie erinnerlich, stieß Napoleons Hauptarmee seit dem Grenzübertritt fast nur noch auf verbrannte Erde: Städte und Dörfer eingeäschert, die Bewohner geflohen, die Ernte vernichtet. Leutnant von Eberhardt erlebte das Gegenteil. Von der Bevölkerung des Baltikums wurden die Preußen »mit Freuden aufgenommen«: »Zu unserem Erstaunen sahen wir die Einwohner in den Dörfern ruhig vor den Häusern stehen, und als wir sie frugen, ob sie sich denn nicht fürchteten, sagten sie einstimmig, von uns Preußen, glaubten sie, daß wir ihnen nicht Übles zufügen würden; und wirklich haben wir auch überall unsere Bedürfnisse bezahlt wie im eignen Lande.« Auch wurden die Preußen von der Bevölkerung nachdrücklich unterstützt: »Die Leute sind der russischen Herrschaft längst überdrüssig.«
    Zwar regnete es in der ersten Julihälfte nahezu unablässig und die Temperaturen sanken, aber in Bausken (Kurland), wo Deutsch gesprochen wurde, fanden sich die Soldaten gut untergebracht, die Verpflegung war ausreichend, und

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