Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug
besseren Kommandeur hielt. Dabei war nach allen Zeugnissen Reynier kein schlechter General, aber die beiden kamen nun einmal nicht miteinander aus, und Funck litt darunter, einem Mann gehorchen zu müssen, den er im Grunde seines Herzens verachtete. Gewiß war Funck kein Querulant, aber daß dieser sensible und hochgebildete Mann mit dem gröber gestrickten Naturell eines Reynier seine Probleme haben mußte, kann man verstehen.
Funcks Bericht über die verheerenden Zustände in Polen vor Kriegsbeginn bestätigt die Schilderungen der anderen Soldaten. Schon im April mangelte es an Lebensmitteln für die Soldaten (zumal die Ernte von 1811 miserabel ausgefallen war) und noch mehr an Futter für die Pferde. Es wurde schonungslos requiriert, »wie im Feindesland«. Denn »bei uns herrschte Krieg aller gegen alle«. Schon seit einem Jahr waren den Soldaten neue Kleidungsstücke versprochen worden,und besonders mangelte es an Schuhen und Stiefeln. Besser versorgt war das Offizierskorps mit zahlreichen jungen und fröhlichen Polinnen, besonders die Generalität, und der Abt von Sieciechow bezeugte seine großzügige Gastfreundschaft, indem er dem Oberkommandierenden Reynier nicht nur seinen großen Weinkeller überließ, sondern auch die eigene Geliebte.
Am 1. Juli hatten die Sachsen Bialystok besetzt. »Die Russen hatten diese freundliche und hübsche Stadt, die mehr durch und durch preußisch als polnisch oder russisch gesinnt war, erst vor wenigen Tagen verlassen und die Einwohner hart behandelt«, schreibt von Funck. »Bei unserm Anmarsch fanden wir im Walde noch überall die Blätter von dem mitgenommenen und unterwegs zerrissenen und zerstreuten Stadtarchiv, an dem die Russen ihre Rache ausgelassen hatten, die vielen Familien, deren Dokumente dadurch verlorengingen, nachteilig wurde.«
Slonim hatte man am 10. Juli kampflos eingenommen. Hier erhielten die Soldaten endlich das langentbehrte Brot, auch Branntwein wurde ausgegeben. Bei den langen Märschen litten die Truppen unter Wassermangel. »Oft legten wir ganze Stunden zurück, ohne eine Spur von Wasser zu sehen, und nur zuweilen wurde die Einförmigkeit durch eine breite, unsere Richtung gewöhnlich querschneidende Vertiefung unterbrochen, wo in einem ekelhaft grünschwarzen Moorgrunde ein in tausend kleine Rinnen geteilter, kaum merkbar fließender Bach lief und eine schlechte Erquickung gab«, erzählt Funck. »In diesen Vertiefungen lagen auch die größtenteils von ihren Einwohnern verlassenen Dörfer, wir fanden wohl auch Brunnen aber mit 12–15 Eimern waren sie versiegt, und man mußte dann lange warten, bis wieder etwas Schlamm sich darin sammelte. Auch das Wasser der Moorbäche war trübe, morastig, übelschmeckend und riechend. Die Pferde dursteten lange, ehe sie sich bequemten, dieses Wasser zu saufen, und nur die Not konnte die Menschen dazu bewegen. Dochfanden wir einen Ersatz in den elenden Dörfern. Fast in jedem entdeckten wir einen oder mehrere Eiskeller, die, ganz flach, oft fast zu ebener Erde angelegt und schlecht verwahrt, den noch reichen Vorrat von Eis enthielten, was uns eine herrliche Erquickung bot. Wo es immer möglich war, versorgten wir uns mit Essig, und dieser, mit Eis genossen, war uns unser liebstes Getränk. Auch Met, den wir hier und da fanden, wurde auf diese Weise fleißig getrunken.«
Mit der Einnahme von Kleck am 15. Juli war der östlichste Punkt des Vormarsches schon erreicht; das Korps verlegte seine Tätigkeit südwärts und traf in Ostrow Offiziere der Österreicher, deren Truppen sich Slonim näherten. Unter den Sachsen verbreiteten sich Krankheiten: »Durch die ermüdenden langen Märsche, die Hitze, das schlechte Wasser, die noch schlechtere Verpflegung und den Mangel an Bekleidung, bei unsern fast ganz abgerissenen Montierungsstücken, waren Krankheiten ausgebrochen. Die Ruhr wütete förmlich unter den Regimentern, und wenn wir unterwegs haltmachten, mußte allemal nach dem Winde die Seite bestimmt werden, nach der die Leute zur Befriedigung natürlicher Bedürfnisse austreten sollten, weil fast in wenigen Minuten die Luft verpestet war. Noch starben zwar nur wenige an dem Übel, aber die Kranken waren so matt, daß sie auf Bauernwagen gefahren werden mußten. Ihr Anblick in unserer Mitte war nicht tröstlich, und sie konnten sich nur langsam erholen, weil wir, von Feinden umgeben, nirgends ein Lazarett für sie einrichten konnten«, schreibt Ferdinand von Funck. Aber auch Kleidung und Schuhe waren in
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