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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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Dnjepr. Marschall Ney entging der Einkesselung nur, weil er alle Kanonen, Wagen und Pferde zurückließ und sich durch die Wälder zurückzog. Mit nur noch 600 Soldaten (von 5000) erreichte er Napoleon, der ihn schon verlorengegeben hatte, am 21. November in Orscha, das am 22. geräumt wurde.
    Die kurze Ruhepause in Orscha war eine Wohltat für die Soldaten, da sie dank der mit Lebensmitteln randvoll gefüllten Magazine gut versorgt wurden. Anders als in Smolensk erfolgte hier die Ausgabe in völliger Ordnung. Auch waren frische Reserven eingetroffen und am 18. hatte Tauwetter eingesetzt. Mit den hier eingelagerten Waffen versuchte man die ungeheure Zahl von Nachzüglern – man spricht von 50 000 – wieder zu bewaffnen.
    In welch erbärmlichem Zustand sich die bei Krasnoje gefangenenFranzosen befanden, sah der russische Husarenleutnant Karl von François: »Als ich am Tage nach der Schlacht mit meinem Regiment durch Krasnoje ritt, stand die Stadt in hellen Flammen. Sie war von unseren Truppen größtenteils verlassen worden, aber viele hundert Franzosen hatte man ihres kranken Zustandes wegen nicht mitnehmen können. Von Freund und Feind gänzlich geplündert und entkleidet, standen diese elenden Gestalten in der grimmigen Kälte um die brennenden Häuser herum, um sich zu erwärmen. Sie waren von der Verzweiflung schon so benommen, daß sie nicht einmal zurückwichen, wenn die züngelnde Flamme sie faßte, sondern sich nur wie Ratten im Kreise drehten und unter gräßlichem Gewimmer ihren Geist aufgaben. Einen ähnlichen Anblick hatten wir einige Tage später auf der großen Moskauer Straße. Wir begegneten einer wandelnden Rauchsäule und erkannten, näher kommend, einen Trupp fast nackter französischer Gefangener, welche zu ihrer Erwärmung Feuerbrände in den Händen trugen, aber in ihrem Stumpfsinn nicht einmal zu fühlen schienen, wie mit dem Holze zugleich ihre Hände anbrannten.«
    Den allgemeinen Mangel bekamen jetzt auch die russischen Verfolger zu spüren. Mit 110 000 ausgeruhten und guternährten Soldaten hatte Kutusow sein Lager von Tarutino bei Moskau verlassen und vor dem Abmarsch Pelzjacken und Filzstiefel ausgeben lassen. Doch schon vier Wochen später befanden sich 48 000 Soldaten in den Lazaretten, Opfer des grassierenden Typhus, der den von den Strapazen des Vormarsches erschöpften Soldaten ähnlich zusetzte wie ihren Gegnern. Und die medizinische Versorgung war bei den Russen geradezu katastrophal und weitaus schlechter als in der Armee Napoleons. Es fehlte an geeigneten Unterkünften in dem verwüsteten Land, es mangelte empfindlich an Militärärzten und fähigen Pflegekräften. Kutusow hatte »mobile Magazine« geplant, die in großen Wagenkolonnen ununterbrochen die Armee begleiten sollten, aber nicht folgen konnten, so wie es auch der Grande Armée bei Beginn des Krieges ergangen war.
    Die Pferde, die sich auf den tiefverschneiten Straßen mit den schweren Geschützen der Artillerie und in deren Gefolge den Transportwagen abquälen mußten, wurden immer schlechter versorgt, was dazu führte, daß schließlich Lebensmittel und Pferdefutter von denen verbraucht wurden, die sie transportierten. Auch die Winterkleidung kam nicht nach. Nach der Rückeroberung von Smolensk bekam die russische Armee den Hunger zu spüren, den Soldaten stand nur noch etwas Zwieback und eine dünne Grützsuppe zur Verfügung, und die Pferde bekamen fast gar nichts mehr, auch Stroh war selten geworden. Zwischen der kämpfenden Truppe und riesigen Magazinbeständen (die aus dem Moskauer Hinterland und von der Wolga herangeschafft werden mußten) lagen Hunderte von Kilometern, und alle Dörfer und Städte an der Straße des Rückzugs waren fast ausnahmslos geplündert und niedergebrannt. In dieser Lage wurden Kriegsgefangene zu überflüssigem Ballast. Während die Exekution einiger hundert russischer Gefangenen Napoleon als ein besonders abscheuliches Verbrechen bis heute vorgeworfen wird, hat man über die vorsätzliche Vernichtung der Gefangenen von Wjasma und Krasnoje und die besonders grausame Weise ihrer Vernichtung nie ein Wort verloren. Und es wird noch zu berichten sein, daß dieser Massenmord weiter fortgesetzt wurde.
    Leutnant Boris Uxkull notiert am 30. Oktober in sein Tagebuch: »Auch unsere Lage ist recht kritisch, denn wir haben nichts zu essen. Heute morgen habe ich mir eine Suppe verschafft, die aus lauwarmem Wasser und Talg bestand; wenn uns der Schnaps fehlen würde, würden wir elend zu Grunde

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