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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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übrigens die Beresina zu jener Zeit, kaum so breit wie der Neckar bei Cannstatt! Und doch so viel Jammer während dreier Tage an ihren Ufern, so viele Menschenopfer für ihre Fluten!
    Ganz erschöpft von dem mehrstündigen Ringen zwischenLeben und Tod, reichte mir auf meine Bitte ein alter, bärtiger Grenadier von jenen Gardeabteilungen, welche am diesseitigen Ufer des Flusses zur Verteidigung der Brücke en tirailleur (in Schützenlinie) aufgestellt waren, in seiner Feldflasche einen kühlen Trunk, den er aus dieser Beresina schöpfte, in welcher Tausende den Tod gefunden hatten! Gierig schlürfte ich das mir dargereichte schmutzige Wasser, das dennoch, trotz dieser widerlichen Beschaffenheit, ein behagliches Gefühl in mir erregte, sehr verschieden von jenem Schauder, den ich fühlte, als ich vor wenig Augenblicken dasselbe durchwatete.
    Wohl sehnte ich mich nach einem jener Biwakfeuer, die ich rechts und links der Straße hell lodern sah, um meine erstarrten Glieder zu erwärmen, mein durchnäßtes Pedal möglichst zu trocknen; aber dennoch konnte ich es mir nicht versagen, meinen Kürassieroffizier, der immer noch, wie ich dies deutlich sah, am jenseitigen Ufer, mit seinem Knüttel bewaffnet, eifrig bemüht war, sich zu der nahen Brücke Bahn zu brechen, zu erwarten, um ihm einige Worte des Dankes dafür zu sagen, daß er, wenn auch sehr gegen seinen Willen, wesentlich zu meiner Rettung beigetragen habe. Verdankte ich es doch seinem Mantelkragen, daß ich der Brücke so nahe gekommen war! – Bald sah ich ihn denn auch über diese daherschreiten. Ich sagte ihm meinen Dank französisch, er dagegen erwiderte mir im reinsten Deutsch: ›Ich höre an Ihrem Akzent, daß Sie ein Deutscher sind. Ich bin Ihr Landsmann, ein Hamburger, heiße Schmidt und bin Kapitän im 3. Kürassierregiment. Es freut mich, wie Sie mir sagen, zu Ihrer Rettung beigetragen zu haben. Adieu.‹ – Und fort stürmte er wieder, dieser trotz aller Strapazen und Entbehrungen noch sehr rüstige Mann.«
    Der württembergische Wachtmeister Benedikt Peter: »Auf der Brücke sah ich einen französischen Offizier mit seiner Frau, seinem Kind und einer Magd zugrunde gehen; diese liefen neben den Kanonen hintereinander, der Offizier voraus, dann die Magd mit dem Kind auf dem Arm, hinter dieser die Frau. Nun muß man bedenken, daß der Raum neben einerKanone sehr schmal war; bei der geringsten Berührung mit einer Nabe war ein Sturz in den Fluß gewiß. Zuerst wurde die Magd am Kleid erfaßt, der Herr und die Frau wollten zu Hilfe eilen, und so fanden alle drei auf einmal ihren Untergang. Wenn die Kanonen nur eine halbe Minute gehalten hätten, so wären die Personen gerettet worden, aber es war weder Erbarmen noch menschliches Mitleiden.«
    Oberleutnant Friedrich Gieße: »Eine Wagenburg hatte alle Zugänge zu der Brücke versperrt, daß es auch selbst dem Fußgänger nicht mehr möglich, die Passage zu gewinnen, ohne über eine Reihe von Wagen und Pferden hinwegzuklimmen. Die aufgelöste Ordnung wiederherzustellen war unmöglich, da mit Bajonetten gegen festgefahrene Wagen, stätisch gewordene oder aus Ermattung niedergesunkene Pferde und selbst gegen Menschen, die alle Fassung verloren und mutlos geworden, nichts auszurichten. Auch die an der Brücke mit gezückten Schwertern aufgestellten Gendarmen halfen hierzu nichts, da an Gehorsam niemand, wohl aber alles verzweifelnd und stürmisch an eigene Rettung dachte. Nichts Seltenes war, unter all diesen Unglücksszenen die menschliche Habgier sich äußern zu sehen. Waren von einem festgefahrenen Fahrzeug die Pferde gelöst, gleich fielen die Umstehenden darüber her und plünderten es. Wohl mochte dazu der erste Beweggrund die Hoffnung sein, noch einige Lebensmittel zu finden, jedoch blieb es hierbei nicht, und man nahm hinweg, was einem wertvoll in die Augen fiel, und warf es im nächsten Augenblicke als eine lästige Bürde wieder von sich.
    Ohne daß dieses Tun und Treiben an den Brücken, solange es Tag war, nachließ, minderte es sich jedoch in der Abenddämmerung und stockte sogar bei vollständiger Dunkelheit. Was viel hierzu beitrug, war der Umstand, daß des Abends um 4 Uhr abermals an der Brücke für das Fuhrwesen 2 Böcke gebrochen, die aber binnen 2 Stunden wiederhergestellt wurden. Die Nacht war dunkel und nur erhellt durch die Tausende der Biwakfeuer im ganzen weiten Bereiche ringsum. Man hättedenken sollen, ein solcher Moment würde von vielen zum Übergang über den Verderben

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