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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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haben, als ich bemerkte, daß jenseits der Brücke auf einmal der Andrang zu dieser aufhörte und eine Kolonne Infanterie in Reih und Glied erschien. Es war dieses nachmittags etwa um 2 Uhr – diese Zeit gibt Ségur an, denn ich hatte keine Uhr, konnte also auch nicht auf diese sehen –, als Napoleon, der mit etwa 6000 Mann seiner Garde und dem Neyschen Korps – dem unsrigen – die Brücke passierte. So war ich durch einen glücklichen Zufall Zeuge dieses interessanten Moments.«
    Leutnant Christian von Martens (27. November): »In das schauerliche Gedränge gepreßt, konnte ich kaum Atem holen und mit den Füßen den Boden berühren; die Masse wogte über gefallene Menschen und Pferde, über zertrümmerte Wagen und andere Gegenstände, viele stürzten darüber zu Boden und waren bald von den Folgenden zertreten, hie und da gab es kleine Lücken, von gestürzten und noch zappelnden Pferden verursacht. Die an den Brücken aufgestellten Gendarmen hieben, um ihre Posten zu behaupten, scharf auf die Unglücklichen,welche sich nicht zurückweisen ließen. Als ich mich endlich in der Nähe der Rampe befand, mußte die Brücke notwendig wiederhergestellt werden, indem die Artillerie dieselbe schon sehr verdorben hatte. Dies verursachte das gräßlichste Gedränge, in welchem ich beinahe meine Sinne verlor, doch die gütige Vorsehung verließ mich auch dieses Mal nicht, ich befand mich in dem Menschenkeil, der zufällig auf die Höhe der Rampe geschoben wurde, zu beiden Seiten sah ich den größten Teil ins Wasser gedrückt, um von den großen Eisschollen für immer zugedeckt zu werden. Es war 10 Uhr vormittags, als es mir gelang, ohne weitern Anstand über die noch nicht völlig hergestellte Brücke zu kommen, die bald darauf wieder zusammenbrach.«
    Leutnant Karl von Suckow (28. November): »Je näher ich der Brücke kam, desto größer wurde das Gedränge von rückwärts, indem man sich wie natürlich dem heftigen feindlichen Geschützesfeuer möglichst bald entziehen wollte, wogegen zahlreiche französische Gendarmen mit gezogenem Pallasch, von welchem sie schonungslos gegen die unglücklichen Flüchtlinge durch flache und scharfe Hiebe Gebrauch machten, an der Brücke aufgestellt waren, um den zu großen Andrang zu derselben zu steuern. (…) Wenige Schritte weitergeschoben, und ich trat wiederum auf ein lebendes Wesen; diesmal war es ein Pferd. Dasselbe, ich sehe es heute noch vor mir, ein Fuchs von Farbe, lag auf der Seite und bewegte unter mir, wohl in der Todesangst, heftig seine Flanken, was, wie natürlich, meinen unfreiwilligen Standpunkt sehr gefährdete. Doch ich sollte desselben nur zu bald enthoben werden! Ein heftiger Stoß von einem der Nachdrängenden trifft mich, mit beiden Füße rutsche ich ab von dem glatten Haare des Tieres und bin im Begriff, rücklingsüber zu fallen, um dann wohl bald das Los jener beiden unglücklichen Wesen zu teilen, welche ich durch meine Gegenwart für einige Augenblicke so schwer behelligen mußte und wo dann diese Zeilen vermutlich nie geschrieben worden wären. Doch hier bewährte sichnun das alte Sprüchlein: ›Wo die Not am größten, da die Hilfe am nächsten!‹ auf das glänzendste. In diesem Augenblick, in Gedanken von allen Freuden und Leiden dieser argen Welt schmerzlich Abschied nehmend, greife ich unwillkürlich oder wohl mehr instinktmäßig mit der Hand vorwärts und erfasse – den Kragen eines blauen Mantels.
    Der Träger desselben, ein kolossaler französischer Kürassieroffizier, noch mit dem Helm bedeckt, einen seinem Umfange angemessenen Prügel in der Hand, verwendet letzteren erfolgreich, indem er damit unbarmherzig auf seine Umgebung losschlägt. Nachdem ich nun dieses treffliche Talent, sich Raum zu verschaffen, genügend gewürdigt hatte, war mein erster Gedanke, welchem alsbald die Tat folgte: ›Bei diesem Manne bleibst du.‹ Das heißt: Ich hielt den Mantelkragen, für mich ein köstliches Kleinod, das ich in diesem Augenblick mit keinem andern der Welt vertauscht haben würde, fortwährend fest in meiner Hand und ließ mich sonach von dem Träger desselben gleichsam bugsieren. Aber leider merkte mein vortrefflicher Vorkämpfer nur zu bald meine Anhänglichkeit an seinen Mantelkragen, welche allerdings seine Schritte bedeutend hemmte, und suchte dieselbe deshalb durch Hilfe seines Prügels, mit welchem er nun auch nach rückwärts gegen mich schlug, schleunigst zu beseitigen.
    Aber seine desfallsigen Bemühungen waren vergebens. Handelte es

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