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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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versetzten allen daselbst anwesenden Franzosen, gleichviel ob schuldig oder unschuldig, ihre derben Hiebe.«
    Am 6. Dezember war das Bataillon Lippe dann weiter in Richtung Kowno marschiert, die Kompanie, zu der Dornheim gehörte und die nun endlich die vorgesehene Bespannung erhalten hatte, war drei Tage später mit den Wagen gefolgt. Erst unterwegs hatten die lippischen Soldaten von der Niederlage und dem Rückzug der Grande Armée erfahren. Die Nachricht traf sie völlig unvorbereitet: »Wir träumten nur von Siegen, glaubten, die große Armee komme uns in der schönsten Ordnung entgegen und wolle mit uns Winterquartiere in Polen beziehen.«
    Als der Konvoi am 12. Dezember, zeitgleich mit den übrigen Resten der Armee, schließlich Kowno erreichte und seine Last in einer zum Magazin umgerüsteten Kirche ablud, waren in der Stadt bereits Chaos und Anarchie ausgebrochen, die Magazine gestürmt und gleich vielen geplünderten Bürgerhäusern auch anschließend angezündet worden. »Unser Hauptaugenmerk war auf Lebensmittel gerichtet«, schreibt Dornheim, »da aber die Franzosen das Brot-Magazin rein ausgeplündert hatten, so blieb uns nichts andres übrig als die Heimsuchung des Branntwein-Magazins, weshalb wir ein paar tüchtige Feldkessel holten und so spornstreichs an den Ort eilten, wo diese Lebenswasser in Fässern bis unter die Decke aufgelagert waren. Bei ihrem Anblick freute sich mein Gesellschafter ungemein, und mit wohlgefälligem Schmunzeln schlug er ein Rum-Faß auf und füllte unsere Eimer, ohne sich um die umherliegenden besoffenen oder toten Franzosen zu bekümmern. Viele dieser Unglücklichen hatten in ihrem wütenden Hunger die Mehlfässer aufgeschlagen und das rohe Mehl handvollweise verschlungen und dann über die Gebühr Rum oder Branntwein darauf getrunken. Das von diesen Getränken verdünnte Mehl gab ihr schwacher Magen wieder von sich, und während des Erbrechens waren die Jammergestalten erstickt und wälzten sich dann in den letzten Zügen mit den Gesichtern in dem ausgebrochenen Mehlbrei herum. Andere hatten aus Ermangelung eines Trinkgeschirrs dieZapfen der Branntweinfässer losgeschroben, sich unter die Zapfen gelegt und so den Branntwein in den Mund laufen lassen und waren dann in dem dadurch entstandenen See dieser Flüssigkeiten elendiglich ums Leben gekomnen. Schauderhaft war diese Szene zu erblicken, und ich bekam vor den gräßlichen Wirkungen der Spirituosen einen solchen Respekt, daß ich um keinen Preis auch nur einen Tropfen hätte genießen mögen. Nichtsdestoweniger hatte mein Kamerad unsern Feldkessel ruhig vollaufen lassen, und wir machten uns auf, um diese Beute nach unserm Quartier in der Judenstadt in Sicherheit zu bringen.«
    Da es inzwischen zu Gefechten mit Kosaken gekommen war, die in die Stadt eindringen wollten, sammelte sich das Bataillon Lippe auf dem Marktplatz und verbrachte dort frierend die Nacht in Alarmbereitschaft: »Eine ansehnliche Soldatengruppe hatte mitten auf dem Marktplatz ein Feuer angezündet, dessen Flamme haushoch emporloderte. Um dasselbe hatte sich ein Teil im Schnee zusammengekauert, ein anderer Teil stand. Mitten unter diesem Soldatentroß sahen wir einen Obristen von den westphälischen Truppen, der ein kleines irdenes Töpfchen mit Schnee anfüllte und an das Feuer stellte. Er hatte eine Portion gemahlenen Kaffee hineingeschüttet; der zu Wasser gewordene Schnee fing schon an im Töpfchen zu sieden, eben wollte er dasselbe ergreifen und den erquickenden Trank ausleeren, als eine Masse Soldaten sich so nahe zum Feuer drängte, daß der arme Obrist auf das Gesicht fiel und das Kaffeetöpfchen umschüttete. ›Mein Gott! auch das noch!‹ rief er aus. Diese wenigen, wahrlich im höchsten Schmerz gesprochenen Worte erweckten bei manchen von uns ein bedauerndes Mitgefühl; lange konnten wir die Traurigkeit, die sich im Gesicht des Obristen malte, nicht vergessen, und gern hätten wir ihm Ersatz bieten mögen, wenn wir nur selbst etwas gehabt hätten. Die meisten Soldaten lachten aber über den Unfall, meinten, der Herr Obrist brauche keinen Kaffee zu trinken, sie tränken auch keinen.Obgleich man mehrere unserer Leute von dieser schadenfrohen Äußerung nicht ganz freisprechen kann, so mag dieses doch nicht sowohl einem wirklich bösen Gemüt als vielmehr einem arglosen Leichtsinn zugeschrieben werden, welcher durch das rohe Kriegerleben so unwillkürlich herbeigeführt wird.«
    Am nächsten Morgen wurde eine Abteilung Lipper vom Marktplatz zur

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