Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug
konnte, und fragte ihn, weshalb er einen solchen essen wollte, da doch immer noch genug Pferde zu finden wären. ›Eher würde ich Kosakenfleisch fressen!‹ gab er mir entrüstet zur Antwort. ›Erkennst du denn Mouton, unsern Regimentshund, nicht? Er hat sich die Pfoten erfroren und kann nicht mehr laufen.‹ Als ich hierauf das treue Tier streichelte, leckte es mir die Hand und sah mich so traurig an, als ob es mir sein Leid klagen wollte. Im Weiterschreiten erzählte mir Daubenton, daß die Russen schon vor sieben Uhr in die Vorstadt gedrungen wären, in welcher sich unser Quartier befand, und daß ihnen dabei mindestens 12 000 Offiziere und Mannschaften in die Hände gefallen seien, die vor Schwäche nicht mehr fortgekonnt hätten. – ›Beinahe‹, fuhr er fort, ›wäre ich demselben Schicksal verfallen, denn meine Liebe zu dem Hunde bereitete mir noch einen längeren Aufenthalt. Obwohl ich mich ganz heimlich aus dem Quartier geschlichen hatte, um Mouton, der doch nicht mehr mitmarschieren konnte, nichts merken zu lassen, war derselbe doch zu klug, um nicht zu begreifen, daß er zurückbleiben sollte, und heulte so jämmerlich, daß ich wieder umdrehte und ihn herausließ. Natürlich schleppte er sich nun mir nach, fiel aber bei seinen wunden Pfoten alle Augenblick auf die Nase. Ich vermochte das nicht länger mit anzusehen und ließ ihn mir von einem Manne auf den Tornister heben und an den Tornisterriemen anbinden.‹«
Während sich die beiden Gardesoldaten mit dem Hund vorwärtsquälten – Bourgogne hatte Erfrierungen an Händen und Füßen –, wurden sie von einem russischen Reiter angegriffen, der es auf Daubenton abgesehen hatte: »Dieser, dem es mit seinen klammen Fingern bis jetzt noch nicht gelungen war, die Bande des Hundes zu lösen, wollte denselben nunmehr mitsamt seinem Tornister abwerfen, wurde aber daran durch den wütenden Angriff des sichtlich angetrunkenen Russen gehindert. Er behielt gerade nur noch Zeit, an den Wagen heranzuspringen, um wenigstens seinen Rücken zu decken. Ich selbst war augenscheinlich noch zu sehr von meinem traurigen Zustand in Anspruch genommen, um ihm helfen zu können. Die Lage Daubentons war schrecklich. Während er die Säbelhiebe seines Gegners mit dem Gewehr parierte, riß ihn der wie rasend bellende Hund, welcher mit aller Kraft die Bande zu sprengen suchte, die ihn festhielten, hin und her. Sein abgezehrtes, rauchgeschwärztes Gesicht war verzerrt, und seine Augen sprühten Feuer und Flammen. Plötzlich traf ein nach dem Kopfe des Hundes geführter Hieb des Russen den Tornister und zerschnitt dabei jedenfalls die vordere Befestigung Moutons, denn dieser sprang jetzt auf einmal mit Wutgeheul herab, blieb aber mit dem Hinterteil noch hängen und riß Daubenton mit zu Boden. Ich hielt denselben für verloren. Indessen war es mir geglückt, mich wenigstens so weit kampfbereit zu machen, als ich meine rechte Hand von ihrer Bandage genügend befreit hatte, um mein Gewehr handhaben zu können. Ich war auf meinen Knien etwas vorgerutscht und hatte das Gewehr auf den Feind angelegt. Hierdurch ließ sich derselbe glücklicherweise von Daubenton abziehen. Er sprang unverzüglich auf mich ein.
Ich drückte ab, aber der Schuß versagte. Hohnlachend glaubte der Kerl nun leichtes Spiel mit mir Elendem zu haben, doch die Gefahr verlieh mir Kraft: überall, wo er auch versuchte, an mich heranzukommen, starrte ihm mein Bajonett entgegen. Er gab endlich seine vergeblichen Angriffe auf und wandte sich wieder Daubenton zu.
Diesem war es inzwischen gelungen, den Tornister samt dem Hunde abzustreifen. Er hatte sich gerade wieder erhoben und sein Gewehr ergriffen, als der Russe ihn von neuem anfiel. Nunmehr frei in seinen Bewegungen, ging er zum Angriff über, trieb seinen Gegner mit dem Bajonett ein Stück zurück und riß dann schnell mit dem Ruf: ›Na warte, Bursche, jetzt hab ich dich!‹ das Gewehr an die Backe. Unmittelbar darauf krachte der Schuß, der Russe stieß einen Schrei aus, ein Blutstrom entquoll seinem Munde, er wankte im Sattel und sank vom Pferde.«
Am 12. Dezember rückten die Reste der Grande Armée in das unzerstörte Kowno ein. Hier bildete der Njemen die Grenze. Die Brücke war intakt, aber gedrängt voll von den Fliehenden. Viele versuchten, den zugefrorenen Fluß zu überschreiten, doch die Temperaturen gingen zurück, das Eis trug die Massen nicht mehr, viele brachen ein und ertranken. Der westphälische Sergeant Heinrich Leifels, der Augenzeuge
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