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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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Sonach hakte ich ihm seinen Karabiner aus und warf ihn über die Stadtmauer, zog seinen Säbel aus der Scheide und schickte ihn dem Karabiner nach, die Pistolen gingen den gleichen Weg. Jetzt war er entwaffnet, und ich untersuchte seinen Habersack, in dem etwas Haber war und zwei Laible Brot, zusammen vier bis fünf Pfund, was uns vollkommen revanchierte. Den Habersack legten wir dem Pferd vor die Füße, den Haber ausgeschüttet; ihn selbst haben wir vom Feuer weggewälzt, so strömte uns die Wärme wieder zu, wonach er bald erwachte. Er war etwas nüchterner geworden, sah gleich nach seinemPferd und merkte, daß er nicht nur entwaffnet, sondern auch seines Brotes beraubt war. Wir taten alle, als ob wir schliefen. Nun fing er derb zu schimpfen an, da ging ich hin und schlug ihm eines über den Kopf; nun kam noch einer meiner Kameraden: Wir nahmen ihn, sein Pferdchen gaben wir ihm an die Hand und begleiteten ihn mit gehörigen Ohrfeigen von dannen; er war bezahlt.
    Ein italienischer Offizier, ein noch junger Mensch, lag in seinem Schlitten, seine Frau neben ihm; er hatte einen Fuß verloren in der großen Schlacht bei Borodino. Er fuhr etwas spät zu unserm Feuer her und bat uns höflich, ihn auch ein wenig zum Feuer zuzulassen, er wolle uns nicht genieren; er liege warm in seinem Schlitten, und wenn er das Feuer nur aus der Nähe sehe, genüge es ihm, er wolle uns auch Gutes tun. Auf sein Zuvorkommen hin waren wir ebenfalls höflich und haben ihm seinen Schlitten nahe zum Feuer gerückt; er gab uns dafür eine Bouteille Rum und ein Laible Brot und dankte uns noch herzlich und sagte, mit den Deutschen sei er immer gut ausgekommen, und er freue sich, daß wir dem anmaßenden Franzosen eine ordentliche Lektion gegeben hätten.«
    Mitte November war eine Kompanie Infanteristen aus dem Fürstentum Lippe-Detmold beauftragt worden, einen Konvoi mit Mehl, Lebensmitteln und Munition beladenen Wagen nach Wilna zu begleiten. Erstmals gab man diesen Soldaten – sie gehörten zur Besatzung der Festung Danzig und wurden jetzt der Division Loison zugeteilt – Schlafsäcke mit. Zunächst ging die Wagenkolonne von Königsberg nach Wilkowiszken. Hier sollte ein Pferdewechsel stattfinden, doch da keine Pferde beschafft worden waren, wurden die 200 Lipper einquartiert, bis die neuen Pferde eintrafen. Der lippische Feldwebel Dornheim fand sich »durch den Zufall begünstigt« und hatte »ein sehr gutes und reinliches Quartier bei dem ehrwürdigen alten Rabbiner« bekommen, mit dem er sich angenehm die Zeit vertrieb. »In seiner Jugend hatte derselbe Königsberg, Danzig,Stettin, ja sogar Berlin besucht und auf dieser Wanderschaft das Solo-Spiel erlernt, welches er jetzt leidenschaftlich liebte. Sein Nachbar gegenüber, ein Ellenwarenhändler namens Itzig, und sein Meschores Schmulchen kannten dieses Spiel ebenfalls und kamen jeden Abend in mein Quartier, um dem alten Manne damit die Zeit zu vertreiben. Ich wurde, um keinen müßigen Zuschauer abzugeben, als vierter Mann engagiert und angelernt und jeden Abend mit der Frage begrüßt: ›Liebster Herr Feldwebel! wellen mer a klanen Sole spielen?‹ Worauf mir die ebenfalls stereotype Antwort erfolgte: ›Jau! – mer wellen!‹ – Wir setzten uns dann sogleich an einen kleinen, mit grünem Wachstuch überzogenen Tisch am warmen Ofen zurecht, und ich habe mich auf diese Art unter der Schabbeslampe mit diesen bärtigen, sonst aber ganz gutmütigen und anständigen polnischen Juden die langen kalten Winterabende bei einem Glase Met recht angenehm in Wilkowiszken unterhalten.«
    Doch auch in Wilkowiszken kam es zu Zusammenstößen mit Franzosen, die im Streit einen lippischen Soldaten erschlagen hatten. Als das Bataillon Lippe vollzählig in der Stadt eingetroffen war, nahmen die Deutschen blutige Rache, berichtet Dornheim: »Sobald die angekommenen Soldaten von dieser Mordtat unterrichtet waren, ihre Tornister und Gewehre in den Quartieren abgelegt hatten, versammelte sich die ganze Soldatenmasse auf dem Marktplatze und rückte zuerst in das Wirtshaus, wo man ihrem Kameraden Kuhlmann das Lebenslicht ausgeblasen hatte. Alles, was man hier Lebendiges mit einem Franzosenkopfe vorfand, wurde mit Säbeln, Stuhlbeinen und Knitteln jämmerlich gehauen, geprügelt und schwer verwundet, ja sogar ein französischer Gendarm, der sich unter eine Bettstelle verkrochen hatte, getötet. Unsere wütenden Soldaten, hiermit noch nicht zufrieden, durchstöberten alle Wirtshäuser Wilkowiszkens und

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