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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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wurde, hat das sehr dramatisch beschrieben und von 4000 ins Eis Versinkenden gesprochen, was übertrieben wirkt, zumal der Vorfall von keinem anderen der in Kowno Anwesenden bestätigt wird.
    Als Leifels die Stadt erreicht hatte, eilte er sofort auf den Markt. »Hier standen zwei Juden. Auf die Bitte, mir ein Stück Brot zu geben oder dazu zu verhelfen, antworteten sie: ›Wenn wir das hätten, dann wären wir glücklich; Hände voll Gold werden dafür geboten, aber es ist keins in der Stadt. Im Stadtkeller aber ist Branntwein genug.‹ Ein schwacher Trost – aber ich eilte hin und wurde hier schon wieder Augenzeuge eines neuen erschütternden Ereignisses. In dem Keller stand ich gleich bis an die Knie in Branntwein, der aus Tschakos getrunken wurde. Die Reihe kam aber nicht an mich, und dies war ein Glück für mich. Ich fühlte bald die Notwendigkeit, aus dem Dunst und der Nässe zu gehen, und da ich herauskam, standen Juden am Eingange und riefen: ›Kinder, um Gotteswillen, geht nicht in den Keller, trinkt keinen Branntwein, alle,sowie sie herauskommen, sterben.‹ Und so war es auch! Während der Zeit, daß ich im Keller gewesen war und den Mund aufgehalten hatte, hatten sich vor dem Keller Haufen von Leichen gebildet, die fünf Fuß hoch lagen. Die Unglücklichen hatten in dem Keller Branntwein getrunken; sowie sie herauskamen, schienen sie sich hinlegen zu wollen, um etwas auszuruhen, und so sank einer auf den andern, und sobald sie ein paar Minuten lagen, waren sie auch schon tot. Der Branntwein war für die erschlafften und ausgehungerten Menschen geradezu ein rasch tötendes Gift gewesen.«
    Glücklicher war der bayerische Unteroffizier Mändler, der sich in einem Magazin mit Uniformen neu einkleidete. Zwar stand das Gebäude schon in Flammen, aber die Zeit reichte noch aus, sich zu versorgen: »Dieses Magazin enthielt einen so großen Vorrat von Montierungsgegenständen aller Art, daß man vielleicht den vierten Teil der französischen Armee damit hätte vom Kopfe bis zum Fuß bekleiden können. Auch war in demselben ein großer Vorrat von bayerischen Monturen vorhanden. Ich versah mich aus diesem Magazine in aller Eile mit einem grauen Mantel, einer weißtuchenen Weste, einem Paar hoher Gamaschen und dreien Paar Schuhen. Hierauf eilten wir nach der Brücke, denn der Njemen war hier noch nicht so zugefroren, um ihn ohne Brücke passieren zu können. Die Brücke war aber mit Menschen und Fuhrwerk so vollgestopft und das Gedränge so groß, daß es längerer Zeit schon bedurfte, um nur an die Brücke gelangen zu können. Endlich kamen wir drei zur Brücke, drängten uns auf dieselbe und gelangten zuletzt, nicht ohne Lebensgefahr, da man jeden Augenblick befürchten mußte, unter die Hufe der Pferde gedrängt oder von den Fuhrwerken gerädert oder niedergetreten zu werden, an das jenseitige Ufer des Njemen. Auf dieser Brücke erfror ich beide Ohren, die wie ganz tot und wie Holz unempfindlich waren; durch öfteres Reiben mit Schnee jedoch gelang es mir, sie wieder zu beleben und zur Wärme zu bringen. Schon früher hatte ich mir meine Fingerspitzen undmeine Füße erfroren, welch letztere mich im Marschieren sehr schmerzten.«
    Immer deutlicher zeigte sich in diesen Tagen der Auflösung, wie sehr Franzosen und Deutsche einander haßten. »Kein Deutscher durfte an einem von Franzosen angemachten Feuer stehen, um sich zu wärmen«, so Generalmajor Wilhelm von Hochberg. »Regimentsarzt Hauer von meinem Regiment, der sich verirrt hatte, mußte 6 Franken zahlen, damit er sich an einem französischen Feuer wärmen durfte. Der Haß gegen die Deutschen und der letzteren wiederum gegen die Franzosen zeigte sich in so hohem Grade, und doch, was hätten die Franzosen in diesem Feldzuge ohne ihre Alliierten ausgerichtet?«
    Angesichts der überfüllten Stadt boten die Biwaks außerhalb Kownos bessere Überlebenschancen. Wachtmeister Peter war mit seinen Kameraden in einige leere Salzfässer gekrochen, die sie vor dem schneidenden Wind schützten. Die Füße gegen »ein gut genährtes Feuer« gerichtet, sahen sie plötzlich einen französischen Garde-Chasseur herannahen.
    »Dieser ritt zu unserm Feuer her, band sein Pferd zunächst dem Feuer an einen Block, legte sich dann selbst ganz bequem hin und entzog einigen die Wärme, dabei hielt er seinen geladenen Karabiner in der Hand und machte drohende Gebärden, da er wohl merkte, daß wir nicht gut zu seiner Anmaßung sahen; er war aber zu besoffen und schlief bald ein.

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